Bad Moon Rising
nach oben, ruhte mit dem Rücken an der Zimmerdecke und drückte den strampelnden Sack fest an seine Brust. Ein grauer Wolf sprang die Rothaarige an. Sie reckte den linken Arm hoch, das Tier verbiss sich darin und schleuderte sie durch seinen Schwung rücklings gegen den Herd. Einen Augenblick lang sah sie aus wie eine Frau an der Theke, die sich einen beharrlichen, aus dem Mund stinkenden Betrunkenen vom Leibe hält. Dann sah ich, wie sich in vollkommener Stille ihre Nasenlöcher weiteten, und mit einer Art Freude stach sie dem Tier mit dem Messer, das sie nach dem Durchtrennen der Nabelschnur noch immer in der Hand hielt, mehrmals in den Bauch, bis der große Leib nach dem sechsten, siebenten Stich von ihr zu Boden glitt, nicht wie tot, sondern nur triumphierend ohnmächtig. Drei weitere Wölfe kamen hereingestürzt, ein vierter tauchte im kaputten Fenster auf. Ihre Wärme reichte durch die kalte Luft zu mir und durchfuhr mich. Ich konnte meinen Willen in ihren Schultern, Hinterläufen und Hälsen spüren. Eine Art irrer Freude raste zwischen uns hin und her. Der Schwarze riss an Noahs Kehle. Schüsse fielen. Der Wolf im Fenster stürzte mit einem Winseln. Meine Gebärmutter verkrampfte. Der grauhaarige Vampir ging an der Decke langsam rückwärts, um sich mit den Füßen an einem Balken abzustützen. Zwei graue Wölfe sprangen und schnappten unter ihm, auch wenn er offenkundig außerhalb ihrer Reichweite war. Er starrte sie blinzelnd an, und plötzlich tauchte an seiner linken Schläfe geräuschlos eine große Schusswunde auf, ohne jede Wirkung. Ich verfolgte den Schuss zurück: Cloquet, ein Arm nutzlos, in der anderen Hand die Cobra, ganz offensichtlich ohne die Kraft, noch ein weiteres Mal abzudrücken. Einen Augenblick lang runzelte er die Stirn, mühte sich, zu vollem Bewusstsein zu kommen, und brach dann mit einem verwirrten, mürrischen Blick eines Mannes, der um etwas gebracht wird, zusammen. Einer der Grauen hatte sich in einer exakten Kopie des Sprungs seines Bruders auf die Rothaarige gestürzt, doch diesmal schlossen sich die Fänge um die Messerhand. Mit der freien Hand – diamantringbesetzt, sauber manikürt – griff sie an den Gürtel. Ein Wolf von der Farbe verbrannten Toasts schloss sich dem Angriff auf Noah an, und nach einem merkwürdig intensiven, konzentrierten Augenblick, so als würde es den Tieren schwerfallen, für ein Foto stillzuhalten, riss der Kopf des Vampires mit einem feuchten Knirschen ab. Sofort verdunkelte sich das Kapillarsystem der Leiche, so als habe der Tod nur ein kleines Zeitfenster, um sein Opfer zu holen.
Draußen sank der Hubschrauber, eine Wolke aus Schnee stob herein und wirbelte umher. Ich dachte an eine Kissenschlacht im Fernsehen. So etwas taten die Mädchen in der Glotze, in Nachthemden und Schlüpfern, in Männerträumen. Ich hatte mein ganzes Leben lang noch keine Kissenschlacht gemacht. Der Wolf an der Rothaarigen zuckte, als eine Ladung Kugeln in seine Flanke schlug, dann glitt er mit baumelnder Zunge zu Boden. Zwei große junge Vampire mit Maschinengewehren standen in der Tür, einer sah hinein, einer hinaus, und gaben Deckung. Ich konnte spüren, wie die Wölfe in großer Zahl getroffen wurden, eine schwache Kugel-Tätowierung in meinen Knochen. Die mit Blut vollgespritzte und verschmierte Rothaarige rannte zu ihren Freunden an der Tür. Wölfe jaulten und bellten, klappten zusammen, wurden getroffen. Drei sprangen durch das kaputte Fenster herein und stellten sich beschützend über mich. Ihr guter, satter Geruch übertünchte den Gestank der Vampire. Ich sah zur Decke hinauf. Der Grauhaarige, der an einem Balken kauerte, sah einen Augenblick zu mir herab, drückte den Sack fest an sich, dann sprang er hinunter und rannte zur Tür, wo die anderen drei sich wie abgesprochen duckten, um ihn mit seinem eingesackten Gefangenen über ihre Köpfe hinausspringen zu lassen.
» Au revoir , Talulla«, rief die Rothaarige. Dann rannten sie alle zum Hubschrauber.
9
Von Süden waren Wolken aufgezogen und verbargen den Mond. Draußen waren Dunkelheit und Schnee gelb gefärbt. Kalte Luft wehte durch die weitgeöffnete Tür und das kaputte Fenster herein und blätterte die Seiten von Moll Flanders auf dem Esstisch um. (»Lies, Lu«, hatte Jake mir geraten. »Die Literatur ist das offenherzige alter ego der Menschheit, die in ihrem Herzen auch Platz für Ungeheuer hat, auch für dich. Literatur ist Menschlichkeit ohne Urteil. Glaub mir, es hilft.«) Auf der Rückseite
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