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Bad Moon Rising

Bad Moon Rising

Titel: Bad Moon Rising Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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ich nach unten und hob es zu mir hoch.
    Es war ein Junge. Er hatte die Augen geschlossen, war schleim- und blutverschmiert. Ich leckte schnell seine Schnauze frei, säuberte die zarte Nase. Er hustete und krabbelte näher. Ich wusste, dies war nur ein Augenblick, aber er war geradezu pathetisch perfekt, wie eine Knospe in einem Briefbeschwerer, mein Erstaunen über die winzigen hybriden Hände und Füße, den kleinen Penis und das weiche Fell aus goldenen und schwarzen Haaren. Er schlug die Augen auf. Dunkel wie meine, wie Jakes. Ich dachte: ›Da gehst du mit so etwas in dir herum, und nichts bereitet dich auf die absurde Greifbarkeit dieser Tatsache vor: Plötzlich ist da ein neues Geschöpf und bringt deinen Anteil an Atomen durcheinander.‹ Ich legte meine Hand unter seinen Kopf und spürte Bewusstsein darin aufflackern. Er blinzelte mich an, einmal, zweimal.
    Ich wäre gern – Sie wissen gar nicht, wie gern – in der Lage zu sagen, ich hätte ihn sofort geliebt. Ich wäre gern in der Lage zu sagen, das Wunder sei genauso geschehen, wie es das soll, und sein Leben hätte auf der Stelle oberste Priorität gehabt. Ich würde gern sagen, dass sich alles verschoben hätte, kaum dass ich ihn sah, dass der ganze Müll meines Ich von mir abgefallen sei, dass der Vertrag neu geschrieben worden sei, dass er aus mir gekommen sei und meine halbe Seele hinter sich herziehen würde wie eine Schmusedecke, dass ich nun – mit molekularer Gewissheit und vor allem anderen – eine Mutter sei.
    In Wahrheit fühlte ich gar nichts. Ein lebendiges Geschöpf war aus mir herausgekommen, aber das war nur eine bizarre Tatsache, nur noch so etwas, das eben passiert. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich ihm das neugeborene Genick brechen oder das Herz herausreißen können. Da war er nun, warmes Fleisch, pochendes Herz, Arme, Beine und Kopf, Zähne und Zunge – aber in diesen ersten reinen Augenblicken war er nur ein lebendiger fremder Gegenstand in meinen Händen, hatte nichts mit mir zu tun. Er war wie ein Wort, das man so lange wiederholt, bis es seine Bedeutung verliert und nur noch rauer Klang ist.
    Delilah Snows Erbe.
    Alles, was geschehen war, seit ich ihr begegnete, hatte zu diesem Augenblick geführt.
    Der Tisch fuhr in die Höhe, wirbelte durch die Luft und krachte gegen den Herd. Zwei Vampire standen über mir. Die Szene sah nach Henry Moore aus, so weit weg waren ihre Köpfe. Der eine war ein kleiner, jung aussehender Mann mit dunkelbraunen, lockigen Haaren und einem arroganten langwimprigen Gesicht wie der junge Bob Dylan. Der andere war eine schlanke, attraktive, grünäugige Frau (vielleicht) Anfang dreißig, mit kupferroten Haaren und Hitlerfrisur. Beide trugen schwarze Jeans und Lederjacke mit Reißverschluss mit einem roten Lederabzeichen – für mich sah es nach Keilschrift aus – auf dem linken Aufschlag. Beide trugen einen Streifen dicker weißer Paste unter ihren Nasenlöchern – ein Geruchsblocker, doch nach ihren Gesichtsausdrücken zu urteilen nicht sonderlich wirkungsvoll. Ihr Gestank verursachte bei mir Brechreiz. Die Rothaarige war so fürchterlich aufgeregt, dass sie regelrecht glänzte. Ich konnte einen Hubschrauber hören. Das Geräusch brachte ein tristes Gefühl von Preisgegebensein mit sich. Ich wusste nicht, warum ich mich kaum rühren konnte. Meine Beine waren leicht wie Kissen. Ein unsichtbares Gewicht lag auf meinem Unterleib. Ich versuchte mich umzudrehen, um das Baby abzuschirmen (wenn ein Reflex, dann nur ein schwacher, etwas, von dem ich wusste, dass ich das tun sollte), aber die Frau trat mir heftig gegen den Kopf, und bis ich den Schlag verkraftet hatte, hatte mir der Junge etwas Großes und Spitzes direkt durch die Kehle in den Boden gerammt und mich festgenagelt. Bei dem Schmerz wurde ich fast ohnmächtig, dann tauchte ich in einem Übelkeit erregenden Nebel wieder auf. Ich hob den linken Sandsackarm, doch der wurde von dem grauhaarigen Vampir gepackt und festgehalten. Ohne das leiseste Anzeichen von Anstrengung in seinem schicken, zivilisierten Gesicht drückte er ihn zu Boden, zog einen zweiten Spieß hervor (kein Silber; jemand wollte mich lebendig haben) und nagelte meine wehrlose Hand fest. Ich musste würgen.
    KOMMT ZU MIR. JETZT.
    Die drei starrten auf mich herab. Der junge Bob Dylan lächelte. Der Hubschrauber mit seinem Geräusch monotoner Dringlichkeit war ganz in der Nähe. Wellen schneekalter Luft umspielten mich. Meine Beine waren zu nichts zu gebrauchen, zwei Fetzen

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