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Bad Moon Rising

Bad Moon Rising

Titel: Bad Moon Rising Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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Chiffon. Ich versuchte den Kopf zu drehen, um zu sehen, ob Cloquet noch lebte, aber es ging nicht. Die einzigen beiden Gewissheiten waren meine Hilflosigkeit und der blutige Kopf des Kindes in meiner Hand. Mein Herz war immer noch nicht gerührt. Es war wie ein Rennpferd, das einfach im Stall steht, nachdem alle anderen schon fort sind: Ich fühlte gar nichts für meinen Sohn (außer Neugier), obwohl er mich doch mit solch hypnotisierender nackter Hellwachheit angesehen hatte. Vielleicht rührte sich sein Herz auch nicht mehr? Da war etwas zwischen uns, die Eingebung, dass noch nichts auf dem Spiel stand. Keine verlorene Liebesmüh, wie man so sagt. Es gab genug Zeit, über all das nachzudenken. Das emotionale Universum fand im Bruchteil einer Sekunde Platz, sich umfassend auszudehnen.
    SCHNELLER.
    Der junge Vampir sah die Rothaarige um Erlaubnis bittend an und bohrte mir dann einen dritten Stahlspieß durch den rechten Oberarm, mit dessen Hand ich noch immer den Kopf des Kindes hielt. Das Metall bohrte sich schräg in den langen, behaarten Bizeps, verpasste den Oberarmknochen, zerrte einen Nervenknoten mit sich. Der Schmerz klapperte wie ein Windspiel, in das man aus Versehen gelaufen war. Blut und Luft schäumten um die Wunde in meiner Kehle. Das erinnerte mich an ein Biologieexperiment in der Schule mit Natriumhydrogencarbonat. Das hinwiederum erinnerte mich an eine Zeile aus Jakes Tagebuch: ›Ich habe, dachte ich, die mentale Schicklichkeit verloren.‹ Meine Beine schwammen. Ich war ein Krüppel, an einen Pfosten in einem reißenden Fluss gefesselt. Die Rothaarige zog ein Armeemesser aus dem Stiefel und schnitt die Nabelschnur durch. Sie war schön. Ihr geschminkter Mund mahlte leicht vor Konzentration.
    GUT SO. SCHNELLER.
    »Schnapp es dir, Noah«, sagte sie.
    Der junge Bob Dylan streckte die Hand nach dem Kind aus – es biss ihn.
    Noah riss die blutige Hand zurück. »Au!« sagte er halb lachend. »Das tut weh, verdammt.«
    »Wir vergeuden nur Zeit«, schimpfte der Grauhaarige. »Gib mir die Sachen.«
    Die Frau hatte einen Lederbeutel bei sich. »Hier«, sagte sie. »Also los.«
    Es gab eine von allem anderen deutlich getrennte, zerbrechliche Wut, dass ich all diese Mühe auf mich genommen hatte, dieses Kind sicher zur Welt zu bringen, und nun waren sie hier, um es auszulöschen. Getrennt von dem übermächtigen Wunsch, die Augen zu schließen, den Blick abzuwenden, sie es nehmen zu lassen. Was tat es zur Sache? Warum sollte mir das nicht egal sein? Erleiden Frauen, die vergewaltigt werden, auch diese frevelhafte Gleichgültigkeit? Waren manche Misshandlungen so schlimm, dass es einfacher war, das Ich aufzugeben, statt es zu erhalten?
    »Passt auf das Maul auf«, sagte die Rothaarige. »Vorsichtig …«
    »Die Sachen« waren ein Kuhtreiber, eine Fangstange und ein Sack aus gewebtem Stahlfiber. Sie arbeiteten gemeinsam, und ich bekam alles in traumwandlerischer Detailliertheit mit, das trockene Zappen des Kuhtreibers, meine Finger, die einer nach dem anderen aufgebogen werden, das Rucken und Zucken des Kindes, sein hohes Winseln, das Knurren mit gebleckten Eckzähnen, die krabbenrote Zunge, der zweifarbige Schimmer des Sacks, der mich an Polyesteranzüge oder irisierende Ölflecken auf der Straße erinnerte, die begeisterte Konzentration der Rothaarigen, ihre perlweiße Haut, ihr pochender Gestank. Sie hegte keine Bösartigkeit mir gegenüber. Das hier war ihr wertvoll, mehr nicht, ein notwendiges Objekt. Trotz der Kälte, die hereindrang, fühlte ich mich heiß wie ein frisch gebackenes Brot. Ich sah zu, wie mein Nachkomme hochgehoben, gewürgt, gepikst, eingesackt, zugebunden wurde. Die Dunkelheit, die sich über seinen Kopf senkte, zerriss etwas zwischen uns.
    Einen Augenblick lang vergingen alle Geräusche, jede Bewegung, so als habe jemand den Pausenknopf gedrückt.
    Dann durchschnitt das Sirren und Hämmern des Hubschraubers die Stille – und alles geriet wieder in Bewegung. Die Maschine war direkt vor der Tür, wirbelte Schnee auf und jagte Eisluft ins Haus.
    TÖTET SIE! TÖTET SIE JETZT!
    Automatikwaffen knatterten, kaum hörbar über den Lärm der Rotorblätter, dann stürzte der erste der Wölfe – der Schwarze von gestern Abend – durch die Tür.
    Das Vieh biss zu und riss Noah ein Drittel seines Gesichts ab. Er schrie im Falsett, ging in die Knie, und es schauderte ihn heftig, so als sei er angewidert. Gleichzeitig schoss der Grauhaarige, der den Sack mit meinem Kind darin trug, senkrecht

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