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Bad Moon Rising

Bad Moon Rising

Titel: Bad Moon Rising Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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Mordes.

    Wenn ich mich verwandle, geht es schnell. Der Mond zerrt was auch immer aus der Erde, und das durchfährt mich mit irrer, zittriger Ungeduld. Ich stelle mir das vor wie eine elektrische Entladung, die in meine Fußsohlen fährt und in übergeschnappten Detonationen nach oben rast, die die Knochen erschüttern und die Neuronen zum Explodieren bringen. Der Zauber ist dunkelrot, gewalttätig, verdichtet. Zufallsblitze aus Alltagserinnerungen durchzucken mich – ich schiebe einen Einkaufswagen durch Met Foods; ich öffne ein Fenster; ich stehe auf einem U-Bahnsteig; ich sage zu jemandem: »Nein, das kommt von den Kohlehydraten am Abend« –, durchsetzt mit Bildern von den Morden: der Körper eines weißen Mannes auf dem ölfleckigen Boden einer Lagerhalle; ein einsamer Trailer mit einer brennenden Sturmlaterne; ein weiblicher Oberschenkel, aus dem sich eine Blutfontäne ergießt; meine Krallenhand, die ein noch heißes Herz herausreißt. Das ist der tollste Trick des Fluchs: die eine Art von Gedächtnis wird durch die andere nicht zerstört. Das bist noch immer du. Das alles bist du. Du hättest nie gedacht, dass du solche Gegensätze in dir aushalten könntest, aber du tust es. Du hättest gedacht, das System würde abstürzen, aber das tut es nicht. Es läuft weiter. Es findet Platz.
    In der Zwischenzeit meldet sich die Biologie des Ungeheuers. Meine Lunge dehnt sich aus, droht an den Rippen zu platzen – tut sie aber nie. Meine Wirbelsäule streckt sich in drei, vier, fünf Schüben, und die Krallen erscheinen alle auf einmal, wie Zeitraffer von wachsenden Sprossen. Ich werde verdreht, zerrissen, durchgerüttelt, erdrosselt – dann durch eine blinde Schikane zu lächerlicher Stärke gejagt. Mit einem flüchtigen Pinselstrich sind muskuläre und skelettale Fehlfunktion richtig gestellt. Eine Hacke setzt sich. Ein letzter Eckzahn bricht durch. Ein Schulterblatt taucht auf. Die Frau ist eine Werwölfin.
    Und sie kommt um vor Hunger.

    Verwandelt stand ich (offenmäulig, mit einer Zunge so dick wie ein Babyarm, mein Atem gab Signale fürchterlichen Lebens von sich) ein halbes Dutzend Bäume vom Rand der Zufahrt entfernt. Vor wenigen Augenblicken hatte ich das alles nicht gewollt. Jetzt wollte ich nichts anderes. So war das jedes Mal: Man vergaß, dass der Fluch ein Tausch war, er nahm dir die Sprache und das Mitleid, gab dir aber das dumpfe Pochen des Planeten und den eigenen Anteil daran. Lilafarbene Schatten im Schnee, die feingestimmten Bäume, der eucharistische Mond und das Herz ein Lied, dass dich nach Hause ruft.
    Kaitlyn würde mich hier nicht entdecken. Sie würde mich erst im letzten Augenblick sehen, doch in all den Sekunden davor würde sie wissen, was sie nicht wissen wollte, das Schlimmste wartete noch auf sie. Das Schlimmste war eine uralte, eine einfache Angelegenheit. Sie würde nach Gott suchen, nach Schutzengeln, zauberischen Mächten, die eingriffen – doch nichts davon würde sie finden. Hier gab es nur Bäume und Schnee und den Mond – und auch die würden nicht eingreifen. Sie würde einmal kurz vor dem Ende das richtige Universum erleben.
    Die beiden kamen zur Haustür heraus, Kaitlyn war betäubt, Cloquet mühte sich, sie aufrecht zu halten. Er hatte sie warm eingekleidet, Hut, Handschuhe, Fleece. Reflexhafte Freundlichkeit. Oder er wollte verhindern, dass die Kälte das Betäubungsmittel unwirksam machte. Ein paar Schritte nach dem Cherokee gab ihr linkes Knie nach, und sie knickte ein. Ich sah, wie er überlegte, sie im Feuerwehrgriff zu schleppen, und welche Mühe das bis zu den Bäumen machen würde. Stattdessen öffnete er die Handschellen und legte ihren Arm über seine Schulter, legte seinen anderen Arm um ihre Taille, und ihr Kopf rollte hin und her. Sie kamen auf mich zugestolpert, und ich dachte: »Wie ein Typ und seine betrunkene Freundin.«
    Eine Stimme mit einem komischen Akzent meinte: »Nach zwanzigtausend Jahren sollte man meinen, man hat schon alles gesehen.«
    Ich erschrak. Es war direkt hinter mir (wie zum Teufel?) –, doch als ich mich umdrehte, war da niemand.
    Einen Augenblick lang stand ich starr da, und mein Atem stieg feucht und warm um meine Schnauze.
    Dann platzte meine Fruchtblase.

6
    Wie bei allem, wovor man sich fürchtet, so war es auch hier: Als es eintrat, schien es unausweichlich.
    Natürlich hatte ich mit der Möglichkeit gerechnet. Einfaches Kopfrechnen ergab, dass die Chancen eins zu dreißig standen, dass Wehen und Vollmond

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