Bad Moon Rising
des Schutzumschlages stand ein Zitat, wie ich mich erinnerte: »Moll ist unmoralisch, oberflächlich, scheinheilig, herzlos, eine schlechte Frau – und doch ist Moll großartig.« Das war die Art von Charakter, den ich hätte werden sollen, der ich aber nicht war. Nein, dachte ich, während zwei meiner Schutzwölfe sich mühten, den Stahlspieß in meiner rechten Hand zwischen die Zähne zu bekommen, Talulla ist nicht großartig. Talulla ist total nutzlos . Immer wieder sah ich, wie sie mir einen Finger nach dem anderen zurückbogen. Immer wieder spürte ich deutlich das Gewicht der Kindes, das von mir genommen wurde. Ich suchte in der Leere, wo doch Entsetzen und Wut hätten sein müssen. Ich weiß noch, ich hatte eine Geschichte über eine Frau gelesen, deren zehnjährige Tochter vermisst wird, und schließlich wird das Kind tot aufgefunden, vergewaltigt und ermordet. Dann gab es diesen Augenblick, wo die Polizei zum Haus der Mutter kommt, um ihr die Nachricht zu überbringen, dass man die Leiche ihrer Tochter gefunden hätte, und noch während sie die Worte hört und begreift, was geschehen ist, schaut sie auf den Wohnzimmerboden, wo eine Fernsehzeitung liegt, darauf Monica und Chandler aus Friends , und während sie hört: »Es tut mir sehr leid, aber ich muss Ihnen leider mitteilen, dass wir die Leiche eines Mädchens gefunden haben, auf das die Beschreibung passt«, kommt ihr der Gedanke an Matthew Perry, der wegen seiner Sexsucht in einer Klinik behandelt wird; beides spielt sich gleichzeitig in ihrem Kopf ab, eine widerwärtige Gleichsetzung, und das kann nur bedeuten, dass sie böse ist oder wahnsinnig.
Das war ich. Ich war auch so. Schon immer gewesen. Mit neun hatte ich eine Maus als Haustier, ich kümmerte mich nicht um sie, und sie starb. Mein Dad hatte ganz leise gesagt: »Das macht mich sehr traurig, Lulu«. Und mein Herz hatte sich bei diesen Worten und dem Anblick, dass er wirklich traurig war, mit panischem Selbsthass erfüllt, und gleichzeitig gab es diesen Gefühlskick, dass ich ihm das antun konnte – ich! Mein Gesicht hatte sich warm und weich angefühlt, genau wie damals, als ich mich mit der Hose um die Beine im Keller umdrehte und Tante Theresa vor mir stehen sah, und sie sagte: »Talulla Demetriou, du bist ein dreckiges, verdorbenes kleines Mädchen.«
Ich hatte eigentlich mit einer Leere in meiner Gebärmutter gerechnet, wie der Raum, der übrig bleibt, wenn man den Kern aus einer Avocado nimmt, aber es fühlte sich so an wie vor der Geburt. Die Schmerzen (die ich Wehen genannt hätte, wenn das Baby nicht schon draußen gewesen wäre) konnten nur bedeuten, dass etwas nicht stimmte. Etwas anderes als die Leerstelle, wo sofortige Liebe hätte sein müssen, etwas anderes als mein totes Herz, meine gescheiterte Mutterschaft, mein dritter immer wiederkehrender Tagtraum.
Die Wölfe erkannten nach und nach, dass sie die Spieße nicht zu packen bekamen. Ich sah, wie ihre langen Zähne abglitten und kratzten. Verzweiflung sammelte sich in ihnen, meine Verzweiflung. Ich drehte den Kopf. Cloquet war noch immer bewusstlos, vielleicht sogar tot.
Die einzige Möglichkeit, meine Hand frei zu bekommen, war, sie den Spieß hinaufzuziehen und am anderen Ende zu lösen, wie ein Stück Fleisch von einem Schaschlikspieß. Neunzig Zentimeter, mehr oder weniger. Ich dachte dabei an Christus am Kreuz, wie langsam die Zeit für ihn vergangen sein musste, ein Pferd schlug mit dem Schweif, ein Zenturion löste sich die Lederkappe, ein Junge malte mit einem Stock im Staub. So war die Welt: unschuldige lebhafte Fortführung, ganz gleich, was geschieht.
Meine Wölfe umlagerten mich. Etwa ein Dutzend waren nun im Zimmer, weitere kamen hinzu. Mehr als alles andere wollte ich mich einfach auf die Seite drehen und mich zusammenrollen. Ich biss die Zähne zusammen und zwang meine Hand den Spieß hinauf, erst langsam, dann, als sich das ganze Ausmaß der Schmerzen bemerkbar machte, schnell, um es hinter mich zu bringen. Drei Sekunden mit einem weißglühenden Kreis in meiner Handfläche – dann war sie frei. Der erste Augenblick des aufquellenden Blutes war schlimmer als das Annageln, doch mit einer plötzlichen Abscheu vor dem Anblick, den ich bot – hilflos, Beine breit, würgend –, zwang ich den Schmerz beiseite, packte den Spieß in meiner Kehle und riss ihn heraus. Noch war mein linker Arm festgenagelt, aber ich genoss die Freude, mich auf die linke Seite drehen zu können und die Knie ein wenig
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