Bad Moon Rising
ich mich wie ein Schneekönig. Sie ist eine schöne, kluge, komplizierte Seele und er … eben nicht.« Das Lächeln blitzte beim Sprechen immer wieder auf. Noch weitere Informationen, ob ich wollte oder nicht: Er hatte immer Frauen gehabt. Sie fühlten sich gegen ihren Willen zu ihm hingezogen. Schon in der Schule ertappten sich die kleinen Mädchen dabei, bei ihm eine Ausnahme von ihrer Verbitterung Jungs gegenüber zu machen. Mit vierzehn, fünfzehn dürfte es eine geschiedene Tante oder örtliche Witwe gewesen sein, die über sich selbst erschrak, aber trotzdem … Seitdem hatte er das als Gabe akzeptiert, wie ein fotografisches Gedächtnis oder das absolute Gehör, Kompensation für den gebrochenen Kontrakt mit dem Leben. Es gab keine Grausamkeit in ihm. Er war ein Kind des Eros. Ich stellte mir Murdochs Frau als eine instabile Brünette mit Riemchen-High-Heels, verwirrter Energie und einem gewissen Prozentsatz an verrückten Dingen vor, die sie unternehmen musste, um endlich aus der giftigen Ehe herauszukommen. Ich wurde den Gedanken nicht los, dass es womöglich für die Welt eine gute Sache gewesen war. Zum ersten Mal seit Merryns Haus entspannte ich mich ein wenig.
Cloquet wiederum lupfte es vor Misstrauen fast vom Boden.
»Jedenfalls hat das Murdoch nicht gefallen«, fuhr Wal- ker fort. »Er hat mir eine simple Falle gestellt: gefälschte E-mails zwischen den Rebellen und uns. Seine Jungs waren schon drauf und dran, uns festzunehmen, aber wir haben einen Tipp bekommen und sind verduftet. Seitdem ist Murdoch noch verrückter geworden, und er war eigentlich schon von Anfang an ziemlich durchgeknallt. Mit ein wenig Glück werden ihn die Anzugträger erledigen, aber bis dahin wird er weiter hinter uns her sein, und die Säuberungen werden weitergehen.«
»Und was ist mit Ihnen?«, fragte ich Konstantinov. »Mit wessen Frau haben Sie geschlafen?«
Konstantinov sah mich nur an, und mir wurde klar, dass ich etwas Falsches gesagt hatte. Das Zimmer war sofort übervoll von meinem Fehlurteil. Seine schwarzen Augen verrieten übermenschliches Erdulden.
»Geh eine rauchen, Mike«, sagte Walker. »Ich kläre das.«
Konstantinov saß einen langen Augenblick reglos und ohne zu blinzeln da, und ich spürte, wie die zerschundenen Möbel und fleckigen Wände des Zimmers die Luft anhielten. Dann stand er auf, ging an mir vorbei – seine Aura strich an meiner entlang – und zur Tür hinaus auf den Balkon; er schloss die Tür hinter sich.
»Schlechte Wortwahl«, erklärte Walker. »Mike hat eine Frau. Haben vor sechs Monaten geheiratet. Die Vampire haben sie. Rache für einen der ihren, den er erledigt hat. Sie ernähren sich von ihr und halten sie gerade so am Leben. Sie schicken ihm Videos.«
»Oh«, sagte ich. »Das ist ja furchtbar. Es tut mir leid.« Ich stellte mir Konstantinovs Gattin als blasse, dunkelhaarige Frau vor, ballerinadünn mit Augen so schwarz wie seine; die meisten Männer würden sie für unattraktiv halten. Man konnte an seinem erschöpften Gesicht sehen, dass für ihn nur mit ihr die Sonne auf- und unterging. Und nun war sie ein Getränkeautomat für Vampire. Videos. Das konnte ich mir vorstellen, gleich neben den anderen Aufnahmen, mein Sohn auf dem Tisch aus gebürstetem Stahl, der Draht, der ihm ins Auge fuhr, die Ärztemeute, Jacquelines Lächeln fröhlicher Konzentration.
»Es tut mir leid«, wiederholte ich.
»Das konnten Sie ja nicht wissen«, beschwichtigte Walker. »Er wird es Ihnen nicht übelnehmen.«
Sie ernähren sich von ihr und halten sie geradeso am Leben . Natürlich hatte diese Ausdrucksweise meine Natur ins Spiel gebracht. Walker musste sich ermahnen, was ich war. Der strahlende, sexuelle Mann in ihm kam auf mich zu, setzte sein bezauberndes Lächeln auf, wurde dann aber wieder von dem Menschen zurückgerissen: ›Sie ist eine Werwölfin, um Himmels willen. Bist du verrückt geworden?‹ Worauf der strahlende, sexuelle Mann sich wieder mit dem nicht zu unterdrückenden Lächeln zu mir wandte und entgegnete: ›Ja, vielleicht.‹ Es war schwer, ihm in die Augen zu schauen. Ein kleiner heiliger Geist der Unausweichlichkeit schwebte über uns. All der Sex, den ich seit Jake gehabt hatte, war übellaunig und freudlos gewesen. Das hier war eine Einladung zu etwas anderem. Wolf rührte sich, ja, aber auch die lange vernachlässigte Frau, das dumme Mädchen, das seit einer gefühlten Ewigkeit keinen vernünftigen Sex gehabt hatte. Offenbar gab es kein Ende meiner
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