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Bad Moon Rising

Bad Moon Rising

Titel: Bad Moon Rising Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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zerbrochene Dartscheibe. Das eine große Fenster im Wohnzimmer ging auf das nächtliche London hinaus: St Paul’s Cathedral; Canary Wharf; das Millennium Wheel; der Swiss-Re Tower. Ein Lichtermeer unter der niedrigen, weichen Wolkendecke. Die Schönheit tat mir einen Augenblick im Herzen weh, ganz wie der Weihnachtsbaum im Diner, wenn mein Dad zum ersten Mal die Lichter anzündete. Links neben dem Fenster ging eine Glastür auf einen schmalen Balkon hinaus, auf dem sich ein rostiger Fahrradrahmen und ein kaputter Wäscheständer drängten. Es war kurz nach zwei Uhr früh. Es hatte aufgehört zu regnen. Ich dachte: ›So ist das also. Irgendein Ort stellt sich als der Ort heraus, an dem du stirbst.‹
    Sie sperrten uns im Wohnzimmer ein und zogen sich zu einer gemurmelten Beratung in den Flur zurück. Hauptsächlich murmelte New York, wie es sich anhörte. Cloquet hatte seinen Schrecken in köchelnde Wut verwandelt. Er versuchte die Tür zum Balkon zu öffnen, die nicht abgesperrt war, was uns aber nichts nützte, es sei denn, wir wollten zwanzig Stockwerke tief springen. Mich würde das nicht umbringen – Zoë auch nicht –, aber auch mit den Selbstheilungskräften des Wolfs würde es eine Weile dauern, bevor wir uns vom Beton erheben könnten. Ich ging mit Zoë auf und ab und wiegte sie. Nach ein, zwei Minuten war sie eingeschlafen. Ich dachte darüber nach, was sie in dieser Situation bedeutete: Sie konnten mich zu allem bringen, was sie von mir wollten. Endlos. (Wie das? Hatte ich nicht mein Herz verstockt?) Ich dachte an all diese Dinge, wie langsam die Zeit vergehen würde, wenn sie erst mal begonnen hatten, wie vertraut das verwohnte Zimmer werden würde, die kaputte Dartscheibe, das Kunstledersofa, aus dem die Füllung kam, der Ölfleck auf dem grünen Teppichboden. Ich dachte daran, wie vertraut mir die beiden Männer werden würden, das Gefühl ihrer Hände, Münder und Schwänze, der Klang ihrer Stimmen, der einzigartige Geruch ihrer Gewalt. Ich dachte daran, dass sie als WOKOP – oder Ex-WOKOP – Silbermunition hatten oder Mittel, mir den Kopf abzutrennen. Das bedeutete, dass sie tun konnten, was immer sie wollten, und wussten, wenn sie genug davon hatten, genug von mir hatten, dass sie mich töten konnten und Schluss. Ich stellte mir vor, wie Jacqueline die Filmaufnahmen meinem Sohn zeigte. »Ich nehme an, du hast bestimmt gedacht, maman wird kommen und dich holen. Nun, wie du sehen kannst, wird daraus nichts.«
    Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich das Zimmer nach einer möglichen Waffe absuchte, während mir das alles durch den Kopf ging. In einer der Küchenschubladen lag ein Brotmesser, in einer anderen ein scharfes kleines Obstmesser. Ich füllte den elektrischen Wasserkessel und machte ihn an. Kochendes Wasser, falls ich bis dorthin kam. Mehr gab es nicht. Das Brotmesser gab ich Cloquet. Er riss das Futter seiner Jacke auf und schob es hinein. Ich versuchte es mit dem Obstmesser in der hinteren Hosentasche, doch schnitt es mich beim Hinsetzen. Am Ende steckte ich es in die Jackentasche und sagte mir, ich würde meinen Schritt tun müssen, bevor sie mich dazu zwangen, das Messer zu ziehen.
    Und all das mit dem Baby an mich geschnallt.
    Als die beiden hereinkamen, ging der Kessel von allein aus.
    »Okay«, sagte New York, setzte sich an den zerschundenen Esstisch und lächelte uns wieder erfreut an. »Wer möchte anfangen?«
    Der Russe, der in der Küche herumgesucht hatte, kam mit einer fast vollen Flasche Stolichnaya und vier (nicht zusammengehörigen) Gläsern zurück. Er stellte sie auf den Tisch, goss jedem von uns einen ordentlichen Schluck ein und reichte die Gläser weiter. ›Das würde er doch wohl nicht tun‹, dachte ich, ›wenn die beiden erst Cloquet töten und mich dann vergewaltigen, foltern und umbringen wollten?‹ (Nicht zwingend. Das eine heißt nicht immer das andere. In der Wirklichkeit mochte es durchaus erst was zu trinken geben. Die Welt war völlig frei in ihren außerordentlichen Gegenüberstellungen. Selbst das Kino hatte das schon mitbekommen. Heutzutage traf man auf der Leinwand kaum noch einen durchgeknallten Irren, der nicht Bartók summte oder ganze Stücke von Paradise Lost rezitieren konnte.) Ich wusste, ich sollte Alkohol meiden, solange ich stillte (zumindest sollten das die Menschen tun), aber welchen Unterschied machte das schon, da wir ja sowieso sterben würden? Ich nahm einen großen Schluck. Sofortiges wohltätiges Feuer in der Brust. Der erste

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