Bad Moon Rising
Unangemessenheit.
»Welche Vampire haben sie?«, fragte Cloquet.
»Wie bitte?«
»Wer von den Vampiren hat seine Frau?«
»Jacqueline Delons Meute. Die Schüler von Remshi.«
»Die was?«
Cloquet wollte sein Glas erneut füllen – dann fiel ihm wieder ein, dass wir faktisch Gefangene waren.
»Na los«, forderte ihn Walker auf. »Aber keine athletischen Kunststückchen, okay? Ich bin erledigt. Hier, schauen Sie sich das mal an.« Er zog sein iPhone aus der Tasche, tippte und scrollte, wischte und reichte es dann Cloquet. »Haben Sie das schon mal gesehen?«
Cloquet starrte das Bild auf dem Handy an und reichte es dann mir. Ein rotes keilförmiges Symbol auf schwarzem Hintergrund. Das Emblem, das Jacqueline und ihre Freunde auf ihren Jacken getragen hatten.
»Das haben sie getragen«, erklärte ich.
»Wer?«
»Die Vampire, die meinen Sohn entführt haben. Jacqueline Delons Vampire.«
»Ihren Sohn?«
Ich erklärte ihm, was geschehen war. Alles, ohne jedes Zögern. Zum einen aus Müdigkeit, zum anderen aus Anziehung und gemeinsamer Geographie heraus. Vor allem aber hatte ich genug davon, nie mehr jemandem vertrauen zu können. »Deshalb waren wir in Merryns Haus«, sagte ich. »Wir dachten, er würde wissen, wohin sie ihn gebracht haben. Als wir dort eintrafen, war Merryn schon tot. Die Vampire sind uns zuvorgekommen.«
»Ich kann Ihnen sagen, was Merryn Ihnen erzählt hätte«, ergänzte Walker. »Er hätte Ihnen gesagt, dass Jacquelines Vampire in einem ehemaligen Weingut in der Provence sind. Aber das hilft Ihnen nicht. Sie sind weg. Sie haben herausgefunden, dass Merryn Informationen weitergegeben hat.«
»Merryn war Doppelagent?«
»Er hat jahrelang für die WOKOP gearbeitet, bis zu dieser letzten Sache mit den Rebellen. Er war natürlich für die Abtrünnigen. Das Zwielichtige war sein Leben.«
Cloquet zündete sich eine Zigarette an. Etwas stimmte nicht mit ihm. Seine Gesichtsmuskeln hatten ein wenig Kohärenz verloren. Einen Augenblick lang hielt ich das für Eifersucht – die Anziehung zwischen Walker und mir war wie eine geschmeidige kleine Katze im Zimmer –, aber das war es nicht. Nicht nur.
»Und woher wissen Sie, dass die Vampire abgezogen sind?«, fragte er. »Woher wissen Sie, dass sie das Weingut aufgegeben haben?«
»Weil wir gerade aus der Provence zurück sind«, antwortete Walker. »Sie sind nicht da. Sie wussten, dass wir kommen. Die einzige Chance, wie sie davon erfahren konnten, war die Enttarnung von Merryn. Deshalb haben sie ihn auch umgebracht.«
»Aber sie waren doch in Alaska«, wies ich ihn darauf hin.
»Jacqueline hat mehr als dreihundert von denen in ihrer Gruppe«, erklärte Walker. »Die waren nicht alle in Alaska. In der Provence war niemand . Völlig verlassen. Sie haben herausgefunden, dass Merryn die undichte Stelle war, haben alles ausgeräumt und ihn umgebracht. Sie könnten in der Zwischenzeit sonstwo sein. Zusammen mit Mikes Frau, wenn sie noch lebt, und Ihrem Sohn.«
Sie könnten sonstwo sein . Eine Montage möglicher Orte: Flughäfen; Felder; Stadtstraßen. Die letzten sechs Monate des Umherreisens hatten die Welt schrumpfen lassen. Dass sie sonstwo sein konnten, machte die Welt wieder riesig.
Cloquets Unbehagen wuchs. Ich erinnerte mich daran, wie er sagte: »Glauben Sie, ich betrüge Sie? Fragen Sie Ihre Wölfe!«, und die Wölfe verrieten mit ihrem fleischigen Atem und den Tausenden von Meilen in ihren Pfoten, dass er die Wahrheit sagte. Was war es dann?
»Wie haben Sie Jacquelines Vampire genannt?«, fragte ich Walker.
»Die Schüler von Remshi.« Er sah Cloquet an. »Sie wissen doch, wovon ich rede, oder?«
Cloquet antwortete nicht. Er konnte mich nicht ansehen.
Plötzlich begriff ich: Die Entführung hatte nichts mit dem Projekt Helios zu tun.
Es hatte hiermit zu tun. Mit den Schülern von Remshi.
Allein schon der Klang ›Schüler von Irgendwas‹ nahm mir jede Hoffnung. Cloquet hatte es gewusst, und er hatte mir nichts gesagt. Nun war ihm übel. Mir auch.
»Mike glaubt, dass der tote Flattermann einer ihrer Priester war. Die haben Tätowierungen an den Füßen.«
Cloquet wich weiter meinem Blick aus.
»Sieh mich an«, verlangte ich. »Was verschweigst du mir?«
Ein kurzer Augenblick, in dem seine Gefühle verhakten wie die Buchstaben einer Schreibmaschine. Dann drückte er die Kippe im Alufolienaschenbecher auf dem Tisch aus und atmete den letzten Lungenzug mit einem Gesichtsausdruck aus, als würde er widerlich schmecken. »Remshi
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