Bad Moon Rising
ist …« Er hielt inne. Rollte schnell den Kopf, um die Halsmuskeln zu entspannen. Fing noch mal von vorn an. »Der Vampirmythologie zufolge ist Remshi der Älteste der Art. Er ist schon seit Anbeginn da. Es bringt nichts, dir das zu erzählen, weil er gar nicht existiert. Jacqueline meinte, für die Vampire sei er so etwas wie der Weihnachtsmann oder die Zahnfee, ein Märchen. Aber sie glaubte an ihn. Sie war besessen von ihm. Angeblich hat er besondere Fähigkeiten. Er kann die Form verändern und wie Tiere oder Menschen aussehen. Er kann sich unsichtbar machen. Er kann Feuer aus der Luft schlagen. Er ist der Grund, warum sie Vampirin werden wollte. Weil sie glaubte –« Er hielt inne und winkte undeutlich ab. »Egal. Sie ist verrückt. Und das alles nur, weil ihr Vater gestorben ist. Wussten Sie, dass er sie seit ihrem achten Lebensjahr missbraucht hat?«
Weil sie glaubte –
Ich sollte vorsichtig sein. Vielleicht konnte er sich nicht erlauben, das alles vor Walker auszuplaudern.
»Er hat recht«, meinte Walker. »Für den größten Teil der Vampire hat Jacqueline gerade deren Äquivalent zur Flat Earth Society gegründet. Es hat immer eine Handvoll Vampirastrologen gegeben, die den Remshi-Mythos ernst genommen haben, aber die werden schon seit hundert Jahren oder länger nicht mehr ernst genommen. Unser Mädchen hat diese Wiederbelebung entweder gestartet, um politischen Einfluss zu gewinnen, oder weil sie ernsthaft an die Prophezeiung glaubt.«
»Welche Prophezeiung?«
»Prophezeiungen«, verbesserte sich Walker. »Es gibt eine Reihe davon. Das Problem ist nur, Das Buch Remshi , in dem sie alle gesammelt sind, ist unzuverlässig übersetzt und massiv bereinigt worden. Es ist außerdem unglaublich langweilig. Die große Prophezeiung lautet, dass Remshi wiederkommt – wenn auch nie klar wird, woher genau er wiederkommen soll. Scheintod oder so. Astrologischer Konsens ist das Jahr, also jetzt. Tatsächlich soll er bereits wach, aber noch nicht erkannt worden sein …« Dann wandte er sich an Cloquet: »Richtig?«
Meine Hilflosigkeit schien außerhalb meines Körpers zu bestehen, so als würde sich der Raum um mich verdichten. Am Ende würde sie mich umschließen wie eine Fliege in Bernstein. Ich dachte, wie viel besser es doch wäre, wenn Lorcan tot wäre. Dann könnte ich mich von alldem abwenden. Dann hätte ich nur noch die Schlackehalde meiner Schuld zu überwinden, um eine neue Version meiner selbst zu erlangen und ein zerrissenes Leben mit meiner Tochter zu führen.
»Diese Remshi-Nummer«, fragte ich Walker, »daran glauben Sie?« Ich fragte mich kurz, was ein Gespräch mit dem ältesten lebenden Vampir enthüllen würde. Nur kurz, weil ich fast augenblicklich die Antwort darauf wusste: nichts Schlüssiges. Vielleicht nicht mal etwas Neues. Ein weiteres Geschöpf, eine weitere Ansammlung von Begierden und Ängsten, Täuschungen und unbeantworteten Fragen.
»Wer weiß?«, antwortete Walker. »Bei diesem Job musst du für alles offen sein. Ich schätze, wenn es ihn gibt, wird er nur ein Typ mehr sein, der herumrennt, sich fragt, wo seine nächste Mahlzeit herkommt, und versucht, sich flachlegen zu lassen. Vielleicht auch nicht, wenn er wirklich ein Vampir ist. Auch wenn seine Primärmerkmale angeblich noch funktionieren. Handelt es sich hier aber um eine Religion, dann müssen wir uns fragen, wer an sie glaubt und was sie in ihrem Namen bereit sind zu tun.«
Konstantinov kam wieder herein.
»Es tut mir leid«, entschuldigte ich mich bei ihm. »Das war dumm von mir.«
»Nicht Ihr Fehler«, erwiderte er. »Schwamm drüber.«
Durch den Jetlag benahm sich die Zeit ungebührlich. Die Ränder des Bewusstseins moussierten. Durch die Unschärfe wurde mir klar, dass Walker meine eigenen Gedanken wiedergegeben hatte. Ein kleiner Trost in all dem Wirrwarr. Bilder zogen vor meinem geistigen Auge vorbei: der Sack, der sich über dem kleinen Wolfskopf schloss; Jakes dunkler Schopf, der sich wie ein mechanisches Spielzeug zwischen Jacquelines Beinen bewegt; der Blick meines Vaters, als er sagte: »Ich bin sehr traurig darüber, Lulu.« Delilah in meinen Händen. Hoppe, hoppe, Reiter.
»Der Prophezeiung zufolge«, fuhr Walker fort und sah wieder Cloquet um Bestätigung an, »erwacht Remshi, ernennt sich zum König der Flattermänner, ruft die Epoche der Vampir-Weltherrschaft aus, und während er schon dabei ist, nimmt er sich eine neue Vampirkönigin, mit der er all seine außergewöhnlichen Fähigkeiten
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