Bad Moon Rising
teilt. Seinen Gefolgsleuten zufolge kann er sogar Nachkommen zeugen. Eins muss man Jaqueline lassen: Sie gibt sich nicht mit Kleinkram ab.«
Irgendwann waren die Heizkörper angesprungen, und nun war der Raum mit nach Kupfer schmeckender Wärme ausgekleidet. Mein Gesicht glühte. Ich wusste, wenn ich die Augen schloss und mich hinlegte, würde ich augenblicklich einschlafen. Ihr Sohn ist entführt worden und wird gefoltert – und sie schläft!
Zoë wachte auf und gurrte. Ein Geräusch von absurder Unschuld. Mir war sehr bewusst, dass wir hier verschwinden mussten, damit Cloquet ungehindert sprechen konnte. Ihn jetzt zu drängen konnte ein Risiko sein.
»Ich möchte, dass du mir alles erzählst, was du darüber weißt«, sagte ich zu ihm. »Jetzt sofort.«
19
Die letzten Reste seiner Anspannung, die noch in Schultern, Knien und linkem Fuß zu sehen war, fielen von ihm ab. Wie bei allen Niederlagen war auch diese eine Befreiung. Cloquet schloss kurz die Augen und schlug sie wieder auf. »Ich habe dir das nur vorenthalten, um dich zu beschützen, chérie . Das musst du mir glauben.«
»Red schon.«
Cloquet seufzte und goss sich noch etwas Wodka ein. Als er sprach, klang seine Stimme rau.
»Jacqueline war besessen von der Geschichte mit Remshi und der Prophezeiung seiner Rückkehr. Sie fand Vampirgelehrte, die die Geschichte ernst nahmen, und gab ihnen für weitere Informationen alles, was sie wollten. Widerlich, was für Sachen … egal. Natürlich sah sie sich als seine Königin, seine amant royale . Die Prophezeiungen waren in der Frage seiner Brautwahl sehr eindeutig. Du musst verstehen: Ihr Vater … das ist nur eine Ausweitung ihrer –«
»Ihre verdammten Kindheitstraumen sind mir scheißegal«, unterbrach ich ihn. Walker und Konstantinov hörten gebannt zu. Genauso wie die Kiefernwälder im Schnee. (Immer diese nutzlosen Ähnlichkeiten. Ich dachte: dafür ist die Kunst da, um sie zu jagen, zu enthüllen. Der Albtraum war, wenn man sie nicht abschalten konnte, keine Kunst haben wollte.) »Sag mir einfach, was die mit meinem Sohn wollen«, forderte ich. Ich weiß nicht, warum ich das sagte, ich wusste die Antwort ja schon.
Cloquet fuhr mit der Hand durch sein schütteres Haar. »Es gibt da ein Ritual«, fing er an.
Natürlich gab es das. Das hatte ich schon gewusst, als Walker ›Die Schüler von Remshi‹ gesagt hatte. Ich stellte mir vor, wie Jake den Kopf schüttelte, so wie man es bei diesen Idioten tat, die sich jedes Wochenende verkleideten, um Mittelerde oder den Amerikanischen Bürgerkrieg nachzuspielen. Dass Jake nicht bei mir war, war wie kalte Luft, die aus einem Abgrund direkt hinter meinem Rücken aufstieg. Einen Augenblick lang hasste ich ihn. Er hatte mir zu viele Dinge aufgebürdet, die ich nun allein zu erledigen hatte – und ich hatte niemanden, bei dem ich Trost suchen konnte, wenn ich damit scheiterte.
»Der Prophezeiung zufolge erlangt Remshi erst die volle Macht, wenn er … wenn er das Blut eines gammou-jhi trinkt«, erklärte Cloquet. » Gammou-jhi ist ein uraltes Vampirwort für Werwolf.«
Da hatten wir es also.
Ich sah eine B-Movie-Höhle vor mir, Felsen aus Pappmaché, ein langbärtiger Vampir hebt einen Zeremonialdolch (in etwa wie ein vielfarbiger Stalaktit) über die hyperventilierende Brust meines Sohnes, während Jacqueline und ihr König zuschauen, ihr geschminkter Mund ein wenig geöffnet, die kurzen roten Haare nach hinten gegelt und im Schein der Fackeln glänzend.
»Also ist er tot«, stellte ich fest, probierte die Wörter aus, fragte mich, was ich Zoë von dem Bruder erzählen sollte, den sie nie gekannt hatte. Den ich nie gekannt hatte. Den ich nie geliebt hatte. Den ich mir von den Vampiren hatte entreißen lassen.
»Nein«, widersprach mir Cloquet und beugte sich vor. »Das Ritual kann nur au milieu d’hiver vollzogen werden, am Tag der Wintersonnenwende – aber Lulu, das ist nicht real. Es existiert nicht. Es wird keine Opferung geben, weil es niemanden gibt, dem geopfert werden könnte. Jacqueline, diese Vision, die sie hat, dieser Glaube an Remshi, c’est une fantasie .«
»Er wird trotzdem sterben«, widersprach ich ihm. »Oder den Rest seines Lebens in einem Käfig verbringen. Wenn er Jacqueline nicht von Nutzen ist, kann sie ihn immer noch an die WOKOP oder das Projekt Helios verschachern.« Wieder sah ich es vor mir wie eine lieblose Ehe, all die Dinge, an die ich denken, die ich planen und versuchen musste, die Sinnlosigkeit all dessen,
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