Bär, Otter und der Junge (German Edition)
paar Tage nach dem Fiasko von Creeds Heimkehr, sitze ich bei mir zu Hause auf der Couch. Die letzten achtundvierzig Stunden habe ich mir selbst wiederholt in den Hintern getreten, während sich der Ausdruck auf Otters Gesicht wieder und wieder vor meinem geistigen Auge gezeigt hat, bis ich es nicht mehr ertragen habe. Jedes Mal, wenn ich denke, es ist nun endlich vorbei, schießt er mir natürlich wieder ins Gedächtnis. Und der Ausdruck auf seinem Gesicht spricht mehr als tausend Worte. Die Schuld nagt von Innen heraus an mir. Ich kann nicht schlafen. Ich kann nicht essen. Ich kann nicht auf normale Art und Weise funktionieren. Die letzten beiden Tage sind in einem „otterartigen“ Nebel an mir vorbeigezogen und wenn ich nicht irgendeine Art von Absolution bekomme, werde ich noch wahnsinnig. Ich hab ihn nicht mehr gesehen, seit ich mit Ty an diesem Abend nach Hause gefahren bin. Wir haben telefoniert, aber da ich die letzten beiden Abende bis spät arbeiten musste, hatte ich noch keine Gelegenheit, vor seinen Füßen zu kauern und um Vergebung zu winseln. Glaub mir, ich weiß, wie das klingt. Ich hab mich noch nie so aufgeführt, nicht mal bei Anna. Wenn ich bei ihr irgendwas Dämliches angestellt hatte und sie sauer auf mich war, wusste ich immer, dass ich es aussitzen konnte. Ich musste ihr nur etwas Freiraum geben und irgendwann hat sie mich angerufen, war es nun einen Tag oder eine Woche später. So haben wir funktioniert. Aber jetzt, mit Otter, sind erst zwei Tage vergangen, und es gab eine kurze Unterhaltung, in der nichts von Belang gesagt wurde, und ich bin kurz davor, die verfluchten Wände hochzugehen. Ich klinge so armselig.
Das Gesicht, das zu dem Ohr gehört, das ich mit meinem Gequatsche foltere, lehnt sich in seinem Sessel zurück und lässt die kleinen Beine über der Kante baumeln. Ty legt seine Hände unters Kinn und reibt sich nachdenklich das Kinn. Ich sehe, dass er nachdenkt, etwas ausarbeitet, und ich kann nicht anders, als zu hoffen. Diese Hoffnung wird dann sogleich von dem Gedanken getötet, dass ich darauf warte, wie mein neun Jahre alter Bruder die Krise meiner neu entdeckten Sexualität und meines... festen Freundes löst, dem ich anscheinend schon hinterher schmachte, seit ich zwölf bin. Hey, zumindest weiß ich, dass ich erbärmlich bin.
„Also, wir haben festgestellt, dass du noch nicht bereit bist, es den Leuten zu sagen“, sagt der Junge sachlich. „Und wir wissen nicht, wann du bereit sein wirst, richtig?“
Ich nicke.
„Und wir wissen, dass Otter dir versprochen hat, dass er es nach deinen Bedingungen tut (wie unfair auch immer das ist), und dass er deine Entscheidung respektiert, niemandem von euch beiden zu erzählen, richtig?“
Ich nicke erneut.
„Also, du denkst, Otter ist sauer auf dich, weil du die Gelegenheit hattest, etwas zu sagen, es aber nicht getan hast. Und du bist sauer auf Otter, weil du das Gefühl hast, dass er dich zu etwas drängt, obwohl er dir versprochen hat, dass er das nicht würde. Aber gleichzeitig hast du Respekt vor der Situation, in die du ihn gebracht hast, weil er sich, und mit wem er zusammen ist, seit Jahren nicht mehr verstecken musste und du sehen kannst, wie sehr das an ihm nagt.“
Ich nicke. Ich liebe den Jungen mehr, als ich jemals in Worte fassen könnte.
„Jetzt musst du also einen Weg finden, Otter wieder glücklich zu machen. Und dich glücklich zu machen. Und das Glück muss auch noch gut genug sein, dass es so lange hält, bis du bereit bist, die Wahrheit zu sagen. Und dann sind wahrscheinlich ein Haufen Leute sauer, weil du es so lange verheimlicht hast. Und gleichzeitig willst du herausfinden, was du brauchen würdest, um bereit zu sein, den Leuten von dir zu erzählen. Aber dazu musst du erst einmal herausfinden, warum du überhaupt so panisch bist, denn du willst ja schon, dass die Leute irgendwann über dich und Otter Bescheid wissen. Aber das willst du nur deshalb, weil du willst, dass du und Otter euer Leben führen könnt, ohne euch darüber Sorgen machen zu müssen, welche Geheimnisse ihr nun habt und wer davon weiß.“ Er endet und holt tief Luft. „Ist das in etwa richtig?“
Ich nicke schwach.
Der Junge seufzt. „Bär, es ist ziemlich offensichtlich.“
Ich schrecke auf. „Ist es?“
Er schüttelt den Kopf. „Ich kann nicht glauben, dass du die letzten zwei Tage drüber brütest und die Lösung noch nicht gefunden hast. Ich hab dir die letzten zwanzig Minuten zugehört und selbst ich weiß, was du
Weitere Kostenlose Bücher