Bär, Otter und der Junge (German Edition)
Bild auf den Boden gefallen und einen Riss über seinem Gesicht bekommen hatte. Scheiße! Ich glaube, ich merke, wie mein Gesicht noch röter wird. Bevor ich noch etwas sagen kann, hockt Otter schon neben mir und hebt Glassplitter auf.
„Otter, ich bin ein Idiot. Tut mir leid“, flüstere ich, und frage mich, warum ich mich so verdammt elend fühle.
Ich fühle, wie er mit den Achseln zuckt, als sein Arm den meinen berührt. „Es ist nur ein Bild“, sagt er. „Und nicht einmal ein besonders gutes. Jeder mit einer Kamera kann Bilder aufnehmen und dann behaupten, er sei ein Fotograf.“ Er seufzt, und ich spüre die Bitterkeit, die wie eine Welle von ihm ausgeht und frage mich, ob er diese Dinge nur meinetwillen sagt. Ich frage mich, ob er in Wirklichkeit so stinksauer auf mich ist, wie ich auf ihn bin. Ich frage mich, warum er wirklich hier ist.
Ich frage mich eine Menge Dinge.
„Bär, lass einfach gut sein“, sagt Creed, als er über mir auftaucht. „Ich und der Junge können es aufheben. Seine Sendung läuft und Otter schuldet ihm Eiscreme.“
„Soja-Eiscreme“, sagt Ty, um sicherzustellen, dass wir es nicht vergessen haben.
„Ganz genau!“ stimmt Creed zu, als er um mich herumgeht, um Ty hochzuheben und ihn sich über die Schulter zu werfen. Ty lacht auf die Art, wie nur Kinder es können, als Creed ihn zurück ins Wohnzimmer trägt.
Otter legt das Glas auf das Bild, was Creed und seine Mom entstellt aussehen lässt. Er streckt seine Hand aus, um mir aufzuhelfen. Ich sehe ihn einen Moment lang an.
„Bereit?“, fragt er.
Welch bedeutungsschwere Frage.
W IR sitzen wieder in seinem Auto, nachdem wir an drei Tankstellen gehalten hatten, von denen keine Sojaeis führte. Große Überraschung, nicht wahr? Otter schlägt vor, dass wir in den Supermarkt fahren, in dem ich arbeite und der sich beinahe am anderen Ende des Ortes befindet. Es scheint irgendwie seltsam, denn auf dem Weg ist noch ein anderes Geschäft, das vermutlich das eklige Zeug, das mein Bruder isst führt, aber ich sage nichts. Es ist schön, mal für eine Weile rauszukommen.
Ich weiß, wie das klingt, okay? Ich weiß, dass ich mit Ty in einer beschissenen Situation feststecke und ich tue mein Bestes, aber manchmal möchte ich raus . Ich fühle mich schuldig deshalb; ein bisschen so wie ich mich jetzt fühle. Aber hin und wieder, siegt die Freude über die Schuld. Ich frage mich, nicht zum ersten Mal, ob es das war, was meine Mom gefühlt hatte. Hatte sie sich aus diesem Gefühl heraus hingesetzt - diese Briefe geschrieben? Wegen dieser Sehnsucht nach Freiheit, die aus dem Nichts aufzutauchen scheint? Ich kann nachvollziehen, wie einfach es wäre, ihr zu verfallen, sich einfach ins Auto zu setzen und zu fahren und zu fahren und zu fahren, bis alles um dich herum neu ist und niemand weiß, wer du bist und was du gerade getan hast. Neu anzufangen und derjenige zu werden, der du sein möchtest. Wer würde schon den Unterschied kennen?
Aber dann gewinnt wieder die Realität.
Ich bin keineswegs wie sie. Ich habe gelernt, wie ich diese Gedanken schneller unterdrücken kann, als sie Wurzeln schlagen könnten. Wenn ich ihnen zum Opfer falle, wie sie es getan hat, wie wäre ich dann besser als sie? Nachdem sie uns verlassen hat, habe ich eine lange Zeit gebraucht, bis ich an dem Punkt war, an dem ich jetzt bin. Ich habe Verantwortung, und nicht nur für mich selbst. Was zum Teufel würde mit Ty geschehen, wenn er eines Morgens aufwachte und herausfinden müsste, dass ich weg bin? Manchmal liege ich nachts wach und diese Gedanken kreisen in meinem Kopf. Ich sehe ihn von Zimmer zu Zimmer rennen und meinen Namen rufen - „Bär, Bär, Bär!“ Ich sehe ihn mit seinen kleinen Händen nach seinem Handy greifen, um mich anzurufen, nur um herauszufinden, dass meine Nummer nicht länger belegt ist. Was würde er dann tun? Ich weiß mit Sicherheit , dass er niemals wieder einem Menschen trauen würde. Es fällt ihm schwer genug, es jetzt zu tun. Das ist dann stets der Punkt, an dem mir klar wird, dass ich es niemals tun könnte, ihm nicht an tun könnte, niemandem antun könnte. Ich bin nicht wie meine Mom. Ich bin nicht wie meine Mom. Ich muss ein guter Vater sein –
Scheiße.
Bruder.
Ich meinte Bruder.
Scheiße. Nicht schon wieder.
Ich starre aus dem Fenster. Es regnet noch immer.
„A LLES klar bei dir?“, fragt mich Otter, als er seine Tür zuschlägt. Ich fühle, wie meine Klamotten wieder nass werden und an meiner Haut kleben. Meine
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