Bär, Otter und der Junge (German Edition)
gibt auch einzelne, von Creed und Otter und anderen Familienmitgliedern: Großeltern, Tanten, Onkeln. Früher hat es mich unruhig gemacht, diese Bilder zu sehen. Wir hatten nichts dergleichen in unserem Haus hängen. Meine Mom hatte erzählt, dass, als ich sieben war, sie mich mitgenommen hat und sie „professionelle“ Bilder von uns hat machen lassen. Ich erinnere mich daran, wie stolz sie dabei geklungen hatte, aber als ich sie gefragt habe, wo die Bilder wären, sagte sie, sie erinnere sich nicht mehr.
Ich sehe ein weiteres Bild im Flur und halte inne. Es ist schwarz-weiß und wurde aufgenommen, als Creed und ich fünfzehn waren. Otter hatte es geschossen. Es zeigt uns, wie wir auf dem riesigen Trampolin springen, dass sie in ihrem Garten hatten. Otter hatte uns während des Sprungs erwischt, unser längeres Haar wirbelte um unsere Gesichter, unsere Shirts, an den Bäuchen etwas nach oben gerutscht, offenbarten weiße Streifen Haut. Ich sehe mich selbst, und mir wird klar, wie anders ich heute aussehe. Wie anders die Dinge heute sind.
Ich war meine gesamte High-School-Zeit über zu dünn. Irgendwann hatte ich genug und habe mit Krafttraining angefangen. Ich bin nicht ansatzweise so muskulös wie Creed, aber es ist deutlich besser als vorher. Mein Gesicht ist keine Katastrophe und meine Haut ist in Ordnung. Ich bin nicht sonnengebräunt, aber die meisten Leute, die hier leben, sind das nicht. Ich habe braune Augen und schwarzes Haar, das mal geschnitten werden müsste. Ich habe eine weiße Narbe auf meiner Stirn, wo Creed mich mit einem Aluminium-Baseballschläger versehentlich erwischt hatte, als wir dreizehn waren. Der Spaß hatte vier Stiche benötigt und meine Mom saß währenddessen mit mir im Wartezimmer und hat mir gesagt, ich soll versuchen, Vicodin zu bekommen. Ich hab es bekommen und ihr gegeben.
Ich war nie jemand, der sich viel Gedanken um sein Äußeres gemacht hat oder eitel war (zumindest nicht in größerem Umfang). Um ehrlich zu sein, habe ich nicht die Zeit dazu. Ich habe keine hippen Klamotten oder teure Haarschnitte und ich sehe auch keinen Nutzen darin. Ich mache mir mehr Sorgen darum, das Dach über unseren Köpfen zu behalten und Ty beinahe alle zwei Wochen neue Schuhe zu kaufen. Ich habe keine Ahnung, wie es einem Neunjährigen möglich ist, so verdammt viele Schuhe zu verbrauchen. Alles in Allem habe ich gelernt, dass es bedeutend einfacher ist, bescheiden zu sein, wenn du dazu gezwungen bist. Das kannst du als Lektion des Lebens, von mir für dich, sehen. Gern geschehen.
Ich hole tief Luft und sehe zurück zu dem Bild, einen Moment lang gefangen von dem Augenblick, der sich anfühlt, als hätte er vor einem ganzen Leben stattgefunden.
Ich gehe ins Wohnzimmer und sehe den Jungen ausgestreckt auf dem Sofa liegen, den Kopf auf einem Kissen. Seine Augen sind weit aufgerissen, als er sich eine weitere Sendung ansieht, die aussieht, als gehöre sie in die Originalversion des Texas Kettensägen-Massakers . „Junge“, nörgle ich ihn an, „ich habe keine Ahnung, wie du davon keine Alpträume bekommen kannst. Das lässt es mir eiskalt den Rücken runterlaufen.“
„Vielleicht fühlst du dich nur schuldig für das, was du isst“, antwortet er staubtrocken, ohne auch nur seinen Blick zu heben und mich anzusehen..
„Du kleiner Scheißer“, knurre ich ihn an und beuge mich zu ihm hinunter, um ihn unter den Rippen zu kitzeln, wo ich weiß, dass es am schlimmsten ist. Mom und ich sind uns ähnlich. Er versucht, nicht zu lachen, jault mich aber bald an, „Bär, Bär!“ und versucht sich seinen Weg frei zu zappeln. Ich höre auf und er sieht mich mit einem Blick an, der mir einen Moment lang den Atem nimmt, weil er mich so sehr mit der Liebe für diesen Jungen, meinem Jungen, überwältigt. Ich küsse ihn auf den Kopf, und er sagt: „Bäh, eklig!“, aber das ist okay.
„Ist das okay, wenn du hier mit Creed bleibst, während ich mit Otter unterwegs bin, um dein Eis zu besorgen?“, frage ich, nachdem ich mich ein wenig erholt habe.
Seine Augen lösen sich vom Fernseher und sein Blick landet auf meinem. „Du kommst aber wieder zurück, oder?“
Ich lächle zuversichtlich, und wuschle ihm an der Stelle durch die Haare, auf die ich ihn vor einem Moment geküsst hatte. „Na klar doch, Junge. Ich sollte nicht lange weg sein. Wahrscheinlich geht es recht fix, aber gib mir 'ne Stunde, um sicher zu sein, okay?“ Er sieht auf seine Uhr, dann nickt er. Ich mache es ihm nach und sehe, dass
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