Bär, Otter und der Junge (German Edition)
achten und neunten Klasse, im Gästehaus hinter Creeds Haus. Sie war bei allem meine Erste, abgesehen von der Ehre, mein erster bester Freund zu sein, welche an Creed geht. Erste Liebe, erster Liebeskummer, erster (und einziger) Heiratsantrag. Ja, ja, ja, ich weiß. Aber komm schon, wir waren zehn! Und sie hat mir den Antrag gemacht, direkt nach unserem ersten Kuss. Und eigentlich war es nicht einmal ein richtiger Antrag, es war mehr ein; „Derrick McKenna, ich werde dich nur küssen, wenn du mir sagst, dass wir heiraten werden, wenn wir erwachsen sind!“ Was sollte ein Zehnjähriger da schon tun? Ich habe ja gesagt und sie hat mich federleicht auf die Lippen geküsst. Ich erinnere mich daran, dass ich rot genug geworden bin, um die Welt in Brand zu setzen. Das hatte den Deal besiegelt.
Außer in den Zeiten, in denen sie irgendwie nicht meine Freundin ist.
Wir sind uns viel zu ähnlich, um immer miteinander klarzukommen. Ich schwöre bei Gott, wenn wir streiten, dann über bescheuerten Mist. Sie denkt, sie hat Recht. Ich weiß , dass ich Recht habe, bla bla bla, und es endet jedes Mal damit, dass sie ihr langes braunes Haar nach hinten wirft, ihre dunklen Augen funkeln und sie damit beginnt, vor sich hin zu schimpfen. Dabei klingt sie dann so sehr nach mir, dass es beinahe schon lustig ist. Und das ist dann der schlimmste Zeitpunkt, an dem ich mit Lachen anfangen könnte, also tue ich genau das. Selbstverständlich ist sie dann noch angepisster – was mich sauer werden lässt – und es endet jedes Mal damit, dass einer von uns davon stolziert, um seine Wunden zu lecken. Ich liebe sie allerdings viel zu sehr und ich weiß, dass es ihr genauso geht und ein paar Tage später, wird einer von uns das Telefon in die Hand nehmen und den anderen anrufen, und die Dinge werden für eine Weile wieder gut zwischen uns sein.
Und das meine ich auch so. Ich liebe sie. Anna war für mich da, als ich aufgewachsen bin und hat mir zugehört, wenn ich mich darüber ausgekotzt habe, wie abgefuckt meine Mom ist. Sie war für mich da und hat mich dazu gebracht, mit neuen Leuten zu reden und mir gesagt, dass das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann ist, keine neuen Freunde zu finden. Sie war für mich da, als ich herausgefunden habe, das Ty unterwegs war (glaub mir, zu diesem Zeitpunkt war ich nicht sonderlich glücklich darüber). Sie war für mich da, als ich, nachdem ich den Brief meiner Mutter gelesen hatte, mit Tränen der Wut in den Augen und geballten Fäusten, zu ihr nach Hause gestolpert bin. Sie hat das Gute und das Schlechte und alles dazwischen gesehen, dass mich zu dem macht, was ich bin. Versteh` mich nicht falsch: Creed hat das Meiste ebenfalls mit mir durchgemacht, aber Anna versteht mich auf eine Weise, auf die er es nicht kann. Es ist nicht seine oder irgendjemandes Schuld. Es ist einfach wie es ist.
Außerdem schadet es nicht, dass sie den Boden anbetet, auf dem Ty wandelt. Glaub mir, es wäre so viel einfacher für sie gewesen, einfach davonzugehen und nicht zurückzublicken, so wie es unsere Mom getan hat. Aber das hat sie nicht und man muss zugeben, dass sie einen Arsch in der Hose hat. Anna ist einer der paar Menschen, denen Ty vertraut und bei denen er kein Problem damit hat, wenn sie auf ihn aufpassen, damit ich hin und wieder 'ne Extraschicht arbeiten kann. Sie ist die einzige, die so tut, als könne sie seine ganze vegetarische Phase nachvollziehen (und ich weiß, dass es nur eine Phase ist; kein Bruder von mir würde sich auf Dauer so ernähren). Sie war mehr für ihn da, als jede andere Frau in seinem Leben und ich denke, er braucht das hin und wieder. Er kann nicht für den Rest seines Lebens nur zu mir aufblicken, stimmt's?
Otter lässt sie herunter und lehnt sich zu ihr, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Sie lacht und gibt ihm einen Klaps auf die Schulter, und ich höre, wie sie sagt: „ Natürlich passe ich noch auf ihn auf! Wer sonst sollte ihn für seinen Mist zur Rechenschaft ziehen?“ Sie drehen sich beide zu mir um und Anna streckt mir die Zunge heraus. Ich zeige ihr meine zurück. Otter verdreht die Augen und murmelt etwas über „die Jugend von heute“. Sie kommen zurück zur Kasse.
„Wo ist der Junge?“, fragt sie mich.
„Sieht sich irgendwas Ekliges mit Creed an“, sage ich.
Sie lächelt teilnahmsvoll. „Die Sendung über das Töten von Kühen?“
„Ja. Woher weißt du davon?“
„Er hat mir letzte Woche davon erzählt, als ich zum Babysitten da war.“ Anna blickt
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