Bär, Otter und der Junge (German Edition)
dass es eine schlechte Sache ist?“, fragt er ehrlich verblüfft.
Anna wuschelt ihm durch die Haare. „Niemand Wichtiges. Solange du weißt, dass es nichts Schlimmes ist und dass Otter dich lieb hat, ist alles in Ordnung.“
Der Junge sieht mich an. „Denkst du, dass es eine schlimme Sache ist, Bär?“
„Nein“, sage ich. „Natürlich nicht. Die Menschen können lieben wen sie möchten.“
„Warum haben du und Otter dann in der Nacht, damals, als er fortgegangen ist, gestritten?“
Ich höre die Worte aus seinem Mund kommen. Ich verstehe sie einzeln, aber nicht im Zusammenhang. Ich spüre, wie das Lächeln langsam von meinem Gesicht gleitet. Und wieder einmal macht mein kleiner Bruder mich sprachlos. Ich weiß, dass er darauf wartet, dass ich ihm antworte, aber alles woran ich denken kann ist, wie ich so blind der Tatsache gegenüber sein kann, dass er alles sieht und hört.
„Das ist es nicht, worüber sie gestritten haben“, sagt Anna, bevor ich sprechen kann. Ich kann die Schärfe in ihrer Stimme hören. Mein Schweigen könnte genauso gut eine Beichte meiner Sünden sein. Ich bin so sprachlos von seinen Worten, dass ich ganz vergessen habe, dass sie im Zimmer ist. Alarmsirenen beginnen in meinem Kopf loszuplärren und ich will nicht, dass sich diese Unterhaltung fortsetzt.
„Über was haben sie denn dann gestritten?“, fragt Ty Anna, und wenn ich diese Art von Mensch wäre, würde ich ihn hier und jetzt erwürgen.
„Das weiß ich nicht“, antwortet Anna leichthin. „Bär? Ty will wissen, worüber du und Otter euch gestritten habt. Du solltest es ihm erzählen.“
Oh, das ist guuuuut, flüstert diese Stimme in meinem Kopf. Was wirst du nun sagen, Bär? Wirst du es mit süßen Nichtigkeiten abtun? Ich meine, wie schwer kann es schon sein den Jungen davon zu überzeugen, dass er geträumt hat? Es könnte alles so wahnsinnig, wahnsinnig einfach verschwinden. Oder... oder wirst du in deinem miserablen kleinen Leben einmal in der Lage sein, die Wahrheit zu sagen? Die Stimme lacht. Wirst du in der Lage sein zuzugeben, wie viel Angst du hattest, denn du wusstest, dass Otter fortgehen würde, aber dass er es wegen dir aufgegeben hat? Wirst du in der Lage sein zuzugeben, dass du hinter der selbstgerechten Wut, die du so eindrucksvoll zum Besten gegeben hast, eine ungeheure Erleichterung gespürt hast? Warum hast du dich damals gefühlt, als hättest du noch eine Gnadenfrist? Warum, Bär, warum? Waruuuuuuum....
Halt die KLAPPE!
„Bär?“, Annas Stimme klingt eisig. Ty hört es ebenfalls, denn er sieht erst sie, dann wieder mich mit besorgtem Gesicht an. „Bär?“, wiederholt sie. „Er wartet.“
Ich hole tief Luft und lasse sie langsam wieder heraus. Sag IRGENDWAS! , schreie ich mich selbst an.
Ja, Bär, macht sich die Stimme über mich lustig. Sag irgendwas.
„Ich war wütend auf Otter“, erkläre ich Ty ruhig.
„Weil er schwul ist?“, fragt er mich genauso leise.
Ich schüttle den Kopf. „Ich war wütend, weil...ich dachte, dass er nur wegen uns geblieben ist und ich fand nicht, dass das ihm gegenüber fair war.“
Ty blinzelt mich an. „Aber das war seine Entscheidung, stimmt's?“, fragt er, und klingt einmal mehr erwachsener, als ich es jemals sein werde. „Ich meine, wenn Otter nicht weggehen wollte, warum hast du ihm dann gesagt er soll?“
„Ich weiß es nicht, Ty.“
Doch, tust du.
„ Wolltest du, dass er weggeht?“, fragt er mich plötzlich argwöhnisch.
„Nein, Junge. Wollte ich nicht. Aber genauso wenig wollte ich, dass er nur hierbleibt, weil er... das Gefühl hatte er sollte.“
„Naja“, sagte der Junge und lehnte sich auf seine Ellbogen zurück, „wenigstens ist er zurückgekommen. Mit Otter am Telefon zu reden ist nicht dasselbe, wenn du weißt, dass er weit weg ist.“
„Na klar, Junge.“
„Und warum bist du dann immer noch wütend auf ihn?“, fragt er mich beiläufig und ignoriert Anna völlig.
„Ty“, sage ich streng. „Schluss für heute, Du musst morgen in die Schule und es ist Zeit, dass du dich für's Bett fertig machst.“ Er stöhnt und steht auf. Er geht zu Anna hinüber und umarmt sie und sie flüstert ihm etwas ins Ohr, das ihn zum Lächeln bringt. Ich schicke ihn auf seinen Weg, nachdem ich ihm versichert habe, dass ich in unserem Zimmer sein werde, um ihm gute Nacht zu sagen, nachdem er sich die Zähne geputzt hat. Er läuft, ein Lied vor sich her summend, aus dem Wohnzimmer.
Ich lehne mich zurück an die Couch, unsicher, wie es
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