Bär, Otter und der Junge (German Edition)
Nachbarschaft wird uns hören. Ich schiebe meine Hände in die Taschen und folge ihr nach draußen. Sie schließt die Tür hinter mir und sucht sich eine Stelle, die so weit von mir entfernt wie nur möglich ist, aber trotzdem theoretisch noch zu unserer Wohnung gehört.
„Und?“, fragt sie, ihre Stimme leise und gefährlich.
„Und was?“, frage ich und spiele damit auf Zeit. Mein nervöser Blick trifft auf ihren und ich zucke die Schultern.
„Du hast mich angelogen, Bär.“
„Tut mir leid.“ Und das tut es wirklich. Mehr, als sie jemals wissen wird.
„Warum hast du's getan?“
„Anna...“
„Nein!“, fährt sie mich an, ihre Augen blitzen. „Was ist mit dir in dieser Nacht geschehen? Warum ist Otter fortgegangen? Was hast du mit ihm gemacht?“
Ich lache freudlos. „Was ich mit ihm gemacht habe? Warum muss ich es sein, der etwas mit ihm gemacht hat, verdammt nochmal?“
„Meinetwegen!“, sie schreit beinahe. „Was habt ihr beide getan?“
„Du warst dabei, als ich es Ty erzählt hab“, schieße ich wütend zurück. „Was soll ich, deiner Meinung nach, sonst noch sagen?
„Ich will, dass du die Wahrheit sagst!“, ruft sie und beginnt zu weinen.
Ich ignoriere die Tränen. „Das ist die Wahrheit! Ich wollte nicht, dass er aus irgendeiner beschissenen Art der Loyalität zu mir, da bleibt. Es hätte ihn verbittert und er wäre dann ohnehin gegangen! Wenn er sowieso gehen würde – und ich weiß , dass er das irgendwann getan hätte – war es besser für Ty, wenn es gleich geschieht. Und willst du eine weitere Wahrheit?“, fahre ich sie an. „Willst du mehr wissen, Anna? Ich hätte nicht damit leben können, zu wissen, dass er auf diese Weise die Märtyrer-Nummer abzieht. Ich hätte es nicht ertragen, wenn er mich gehasst hätte! Es war einfacher für mich, ihn zu hassen! Also ja! Ich habe ihn davongejagt! Bist du nun glücklich? Bist du, verflucht nochmal, zufrieden?“
„Warum konntest du mir das nicht einfach sagen?“, schluchzt sie.
„Kannst du nicht hören wie armselig ich klinge?“, schreie ich wütend. „Wie zum Teufel hätte ich dir gegenüber zugeben können, was ich getan habe, wenn ich es nicht mal mir selbst gegenüber eingestehen konnte? Es war besser, ihm vorzuwerfen, dass er gegangen ist, als dass er mir irgendwann vorwirft, dass er geblieben ist. Es war so oder so beschissen!“
Sie schlingt die Arme um ihren Oberkörper und zittert. „Bär, Otter wäre nicht geblieben, weil du es wolltest, sondern weil er es auch wollte. Siehst du das nicht? Er hätte es getan, weil er dich und Ty liebt. Und das wäre für ihn genug gewesen.“
„Und das ist der Grund, warum er gehen musste“, sage ich und meine Stimme bricht. „Otter sollte niemals nur genug haben. Er sollte...“ Aber ich kann den Satz nicht beenden.
„Er sollte was haben, Bär?“, fragt sie traurig.
„Schon gut“, antworte ich. „Vergiss es.“
Das lässt ihre Wut wieder aufwallen. „Ich werde es nicht vergessen, Bär und scheiß auf dich, dass du das auch nur sagst! Wann willst du, verdammt nochmal, kapieren, dass es niemals nur um dich ging! Das betrifft uns alle!“
Ich lache bitter. „Ihr sagt das alle, aber ihr habt's nie verstanden.“
„Nur, weil du so verflucht stolz bist“, knurrt sie wütend. „Du willst von Märtyrertum spreche? Wirf einen Blick in den Spiegel!“
„Ich weiß das, Anna!“, schreie ich sie an.
„Warum bist du dann so schnell dabei, die Menschen zu verurteilen, die es für dich tun würden?“, stößt sie hervor. „Wie kannst du diese Menschen so einfach von dir stoßen?“
„Du denkst, es war einfach?“, mein Blick bohrt sich in sie. „Du denkst, ich habe es nicht jeden wachen Moment lang bereut?“
„Woher soll ich das wissen?“, fragt sie biestig. „Du hast mich von Anfang an angelogen.“
„Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte, Anna! Alles um mich rum ist auseinandergebrochen und ich war Schuld!“
„Vor was hattest du solche Angst? Warum konntest du nicht einfach jemanden helfen lassen, einfach nur, weil er es wollte?“
„Hast du auch nur eine einzige verfluchte Sache gehört, die ich dir gesagt habe?“, grolle ich.
„Das ist es also?“, fragt sie und fährt sich wütend über die Augen. „Das ist die ganze Geschichte?“
„Ja, um Himmels Willen“, knurre ich als ich mit den Händen ringe.
„Du lügst.“
„Anna, bitte...“, ich strecke meine Hand aus, aber sie ignoriert sie.
„Ist er in dich verliebt,
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