Bären im Kaviar
hielt irgendwie zusammen, und der
Motor schnurrte gewissenhaft. Links erkannte man die grauen, gischtgekrönten
Wellen des Finnischen Meerbusens. Rechts waren die Wälder- und die Seen
Estlands. Die spitzen Türme der Kirche von Narva streiften wir fast mit den
Tragflächen. Meiner Schätzung nach mußte die russische Grenze nun vor uns
liegen. Der Pilot war unmerklich hundert Meter höher geklettert. Es fiel mir
erst auf, als wir über eine doppelte Stacheldraht-Absperrung flogen. Und ganz
plötzlich schoß die Maschine erdwärts. Durch die Windschutzscheibe vorn sah ich
ein kleines Bauernhaus auf uns zurasen. Gerade als wir mit ihm zusammenzustoßen
schienen, riß der Pilot das Flugzeug mit einem Ruck wieder hoch, schielte über
die Schulter zu mir zurück und brüllte: »Sowjetski Sojus.«
Im gleichen Moment rutschte mein
Koffer vom Gestell und landete auf meinem Kopf. Ich fand es nicht besonders
witzig.
Kurz darauf umkreisten wir etwas, das
mir wie ein riesiger Schlammsee vorkam. Hier und da ragten aus dem trüben,
braunen Sumpf schmale Bodenstreifen, doch der größere Teil bestand einfach aus
der schmutzigen Brühe. »Flughafen Leningrad«, rief der Pilot und forderte mich
durch Gesten auf, die Sitzgurte wieder zuzuschnallen. Die Maschine sank so
langsam, wie es ihr Führer nur eben zustande brachte. Als die Räder den Schlamm
berührten, klatschten dicke braune Wasserspritzer gegen das Kabinenfenster. Ein
paar Meter rollten wir noch auf den Rädern weiter, dann gab’s genau unter
meinen Füßen einen scharfen, knirschenden Laut. Das Flugzeug stoppte mit einem
Ruck, der mich gegen den Gurt schleuderte und mir beinahe den Atem nahm. Der
Schwanz bäumte sich nahezu lotrecht hoch und sackte dann sachte in den Matsch
zurück. Der Pilot zeigte auf das Untergestell und brüllte (etwas überflüssig,
fand ich): »Kaputt!«
Ein Intourist-Mädchen in hohen
Gummistiefeln watete vom Flughafengebäude herüber, um uns zu begrüßen, während
wir dreckgebadet neben Oma standen, die am Ende ihrer Laufbahn schmählich mit
dem Bauch im Matsch und Wasser lag. Der Pilot faßte meine Hand, zerquetschte
sie fast in seiner Pranke und rief mir abschiednehmend einen russischen Satz
zu. Das Intourist-Mädchen übersetzte:
»Er möchte wissen, wie Ihnen der Flug
gefallen hat.«
Jetzt war die Reihe, zu grinsen, an
mir.
Auf Schatzsuche in Leningrad
Sir Walter Citrine begann ein Buch
über seine Reise durch die Sowjetunion mit der Bemerkung, daß in der Badewanne
seines Hotels in Leningrad kein Stöpsel gewesen sei. Vermutlich, so fuhr er
fort, würden viele Leute ihn aufgrund dieser Bemerkung für nicht objektiv
halten, doch sei ihm persönlich immer der fehlende Badewannenstöpsel
symptomatisch gewesen für alles, was er später in Rußland sah und erlebte.
Mir erging es ähnlich mit dem Matsch
des Flughafens und der allgegenwärtigen Intourist-Fremdenführerin.
Wahrscheinlich war die Führerin nicht allgegenwärtiger als der Matsch, doch
konnte man diesen wenigstens abkratzen. Zusammen betrachteten wir die
Sehenswürdigkeiten: das Winterpalais, die Eremitage, das Ballett, Zarskoje
Selo, Peterhof. Drei Tage lang wich sie nicht von meiner Seite und erklärte mir
alles in tiefgründigen marxistischen Wendungen. Sogar die Tatsache, daß in Peterhof
die Springbrunnen außer Betrieb waren.
»Es geschieht, damit die Arbeiter
während der Woche mehr Wasser bekommen. Sonntags, wenn die Arbeiter frei haben
(und sich wahrscheinlich nicht waschen), funktionieren die Springbrunnen
herrlich.«
Leningrad bedrückte mich. Zu beiden
Seiten der Hauptstraßen lagen große gelbe Steinpaläste, deren vorhanglose
Fenster grollend und anklagend auf die Vorübergehenden starrten. Die Straßen
selber waren fast leer, und die wenigen Menschen, mit denen man ins Gespräch kam,
schienen zurück, nicht vorwärts zu denken. Das erinnerte mich an die alte
Geschichte von dem Arbeiter, der beim sowjetischen Arbeitsamt um Beschäftigung
vorspricht.
»Wo sind Sie geboren?« fragt man ihn.
»In St. Petersburg.«
»Wo wurden Sie erzogen?«
»In Petrograd.«
»Wo wohnen Sie?«
»In Leningrad.«
»Wo möchten Sie arbeiten?«
»In St. Petersburg«, seufzt er.
Gleich, wenn wir uns am Morgen trafen,
erzählte mir meine Führerin, was sie für den heutigen Tag für uns beide geplant
hatte. Vorschläge meinerseits stießen auf Mißbilligung und unüberwindliche
Gegenargumente. Sie setzte ihren Willen immer durch — das heißt fast immer.
Wenn sie
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