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Bären im Kaviar

Bären im Kaviar

Titel: Bären im Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles W. Thayer
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blieb mir nur noch eins übrig: den kleinen
Bettler zu bestechen. Ich gab ihm eine Handvoll Rubel und bedeutete ihm mit
einer Geste, weiterzugehen. Offenbar aber hatte ich die falsche Geste gewählt,
denn er fing sein Repertoire von neuem an und hatte es erst halb erledigt, als
ich auf einer Station »Tarchowka« las. Ich schlüpfte aus dem Zug, lief über die
Geleise und schlug die kleine Straße längs des Finnischen Meerbusens ein, die
der Lippenstift auf der Papierserviette vorschrieb.
    Auf der gegenüberliegenden
Straßenseite lag eine Reihe völlig verwahrloster Villen. Sie schienen zwar
bewohnt zu sein, doch die Anzahl der glaslosen Fenster, der totale Mangel an
Farbe und der Gesamtzustand äußerster Vernachlässigung wiesen darauf hin, daß
die Besitzer oder Mieter ihr Einkommen nicht auf die Pflege ihrer Häuser
verschwendeten. Einen halben Kilometer weiter fand ich, was ich suchte: ein
Haus, größer als die anderen, von den Grundmauern bis zum Dach mit den
Überresten eines einst sehr unübersichtlichen und zweifellos häßlichen,
pfefferkuchenfarbenen Anstriches garniert; im Vorgarten ein steinerner Brunnen,
vorn ein zerfallenes Pfefferkuchentor. Die Tochter des Admirals hatte mir jedes
Detail genau beschrieben — bis auf die zwanzig Jahre rücksichtsloser Abnutzung.
    Als ich so dastand und es anstarrte,
ließ mich der Mut vom Morgen im Stich. Was nun? Es war unzweifelhaft bewohnt,
und mir fiel absolut nicht ein, wie ich unauffällig ins Haus, geschweige denn
in den Rübenkeller kommen könnte. Sollte ich dem Besitzer etwa erzählen, ich
käme im Interesse des vorigen Besitzers, vom dem er es zweifellos «befreit«
hatte? Und falls er das durchgehen ließe und mich gastlich umherführen würde,
sollte ich dann etwa fortfahren: »Hätten Sie vielleicht etwas dagegen, daß ich
mal schnell einen Blick in den Rübenkeller werfe? Meine Freunde haben dort ein
paar Kleinigkeiten vergraben.« Und selbst wenn ich all das sagen wollte — wie
würde er mein Englisch verstehen? Da kam eine Gruppe von Bauern um die
Straßenbiegung hundert Meter weiter oben. Irgend etwas mußte schnellstens
geschehen. Auf keinen Fall durften sie einen verdächtig aussehenden Ausländer
hier am Ufer des Finnischen Meerbusens stehen und mit dem Daumen im Mund
sehnsüchtig über das Wasser nach dem supergeheimen Marine-Stützpunkt auf der
Insel Kronstadt hinüberstarren sehen. Ich konnte nur noch schleunigst den Pfad
zum Haus einschlagen und so tun, als gehörte ich dahin.
    Drinnen empfing mich nicht, wie ich
halb erwartet hatte, ein Schwarm Pinkertonscher Detektive oder deren russischer
GPU-Gegenstücke, sondern nur ein kleines Kind, das auf dem Fußboden mit einem
Stoffhund spielte. Nicht umsonst habe ich einundzwanzig Nichten und Neffen.
Noch ehe irgend jemand, das Kind und mich eingeschlossen, wußte, was los war,
waren wir schon gemeinsam auf dem Boden ins Spiel vertieft. Das Kind schubste
den Stoffhund gegen mein Gesicht und knurrte. Ich schüttelte den Kopf, brummte
ängstlich und zog mich in die Ecke zurück. Wie lange das so weiterging, weiß
ich nicht mehr, doch befand ich mich schließlich in der Küchentür. Im
Unterbewußtsein hatte ich schon vorher Hammerschläge aus dieser Richtung kommen
hören, war aber einzig darauf bedacht gewesen, das Kind zu beschäftigen, bis
ich mir über meine nächsten Schritte im klaren war. Als ich jetzt durch die Tür
blickte, sah ich, wie jemand einem neugelegten Fußboden den letzten Schliff
gab. (Genau da, wo nach der Serviette die Tür zum Rübenkeller hätte sein
sollen.) Aber jetzt war nicht der Moment, über Rübenkeller nachzudenken. Meine
Lage war schon verzwickt genug. Der Mann erhob sich vom Boden. Ich erhob mich.
Er war ein Riese — wenigstens kam er mir so vor. Sein Gesicht war breit, rot
und bärtig. Den Hammer schlenkernd, kam er auf mich zu und sagte irgend etwas
sehr Knappes auf russisch. Ich sagte »Hallo!«. (Was hätte ich unter den
obwaltenden Umständen schon sagen sollen?) Er wiederholte seine Worte und
erwartete offensichtlich eine Antwort. Ich sagte noch mal: »Hallo!« Er trat
näher auf mich zu, den Hammer immer noch achtlos schlenkernd. Wieder sagte er
etwas. Ich wollte das Thema wechseln und sagte »Guten Tag«, merkte aber gleich,
daß es nicht anschlug. Aus den Augenwinkeln schielte ich auf den Hammer.
    Er wollte gerade den letzten Schritt
tun, um an mich heranzutreten, als plötzlich das Kind aus dem Nebenzimmer
hereinstürzte, dann zwischen uns watschelte

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