Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bären im Kaviar

Bären im Kaviar

Titel: Bären im Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles W. Thayer
Vom Netzwerk:
mich abends wieder der liebenden Obhut des Hotelportiers übergab, warf
sie ihm einen Blick zu, der unmißverständlich besagte, er sei dafür
verantwortlich, daß ich bis zum anderen Morgen hübsch brav bliebe.
    Schließlich hatten wir alles
abgeklappert, was auch nur den leisesten Schimmer des Interessanten aufwies,
und immer hatte ich noch einen ganzen Tag Leningrad auf meinem
Rundreisebillett. Die Führerin schlug eine Brotfabrik, eine Spinnerei, ein
Gesundheitsamt und einen Kindergarten vor. Ich winkte ab.
    »So — und was wollen Sie morgen
tun?« fragte sie verdrossen.
    »Nichts«, erwiderte ich nicht weniger
verdrossen.
    »Na, von mir aus!« sagte sie
achselzuckend, als sie aus dem Hotel ging. »Auf jeden Fall werde ich morgen
früh nachhören, ob Sie es sich vielleicht anders überlegt haben.«
    Mit dem »Nichtstun« war es mir in
Wirklichkeit nicht so ernst gewesen. Ich wollte sogar unbedingt noch etwas ganz
Bestimmtes tun — aber nicht mit einer Intourist-Führerin. Bevor ich aus Amerika
wegfuhr, hatte mich eine alte Freundin unserer Familie, die Tochter eines
zaristischen Admirals, gebeten, doch auf der Durchreise einen Blick auf ihren
ehemaligen Familienbesitz in Tarchowka am Finnischen Meerbusen, etwa zwanzig
Kilometer nördlich von Leningrad, zu werfen. Sie hatte mich auf einer
Cocktail-Party danach gefragt, und wie die meisten Bitten auf Cocktail-Partys
wurde auch diese unter den üblichen Floskeln mit einer korrekten Verbeugung
gewährt.
    »Ich zeichne Ihnen genau auf, wo die
Villa liegt«, sagte sie eifrig, nach einer Papierserviette und ihrem
Lippenstift greifend. »Und wenn Sie schon hingehen, könnten Sie auch mal im
Rübenkeller nachsehen, ob das Familiensilber noch da ist. Wir mußten es
vergraben, als wir nach Finnland flüchteten.«
    Ich erwiderte, daß ich in Rußland zwar
hauptsächlich eine diplomatische Karriere und keine vergrabenen Schätze suchen
wolle, aber selbstverständlich mit dem größten Vergnügen bereit sei, außerdem
noch nach dem Silber zu sehen.
    Ich war keine zehn Minuten in
Leningrad, als mir aufging, daß ich einen gräßlichen Fehler begangen hatte.
Normalerweise würde ich mich nur zu gern um den Besitz eines Freundes gekümmert
haben. Nichts erscheint ja auch natürlicher, als hinzufahren und sich den
Zustand des Hauses anzusehen, in dem Freund X oder Y geboren ist. Aber in
Rußland war das irgendwie anders. Die ganze Umgebung, die Intourist-Führerin,
der Portier, die auffallend unauffällig gekleideten Männer in Hotelhalle und
Korridoren — alles das deutete darauf hin, daß private Ausbrüche aus dem
Intourist-Reservat nicht zu empfehlen waren.
    Ich war nicht der einzige, der so
empfand. Einer der ersten amerikanischen Gesandten in St. Petersburg hatte in
einem Bericht an das State Department ausgeführt:
    »Nichts verblüfft einen Amerikaner bei
seinem ersten Eintreffen hier mehr als die Härte und Rücksichtslosigkeit der
Polizei. Man könnte meinen, die Hauptstadt befinde sich im Belagerungszustand.«
    Das war 1856.
    Es war also keine Sowjeterfindung,
obgleich die Kommunisten sie gewiß vervollkommnet hatten. Auch mit der
russischen Seele hatte es nichts zu tun. Falls man ihm nur die Gelegenheit und
ein paar Wodkas gibt, schüttet einem der Durchschnittsrusse sein Herz aus, bis
man im Kummer fast ertrinkt. Er wird einem jede Kleinigkeit aus seinem Leben
erzählen, angefangen vom Stammbaum der Pferde seines Großvaters bis zu den
spannendsten Intimitäten aus dem Liebesieben seiner Freundin. Wahrscheinlich
schüren alle patriarchalischen Regierungen — zaristische wie bolschewistische —
aus guten Überlegungen heraus die Fremdenfeindschaft, weil sie der Ansicht
sind, wenn der Russe seinen Mund einfach nicht halten kann, dann müsse eben die
Regierung dafür sorgen, daß nicht zu viele Ausländer da sind, die sich die
intimen Details des russischen Alltags anhören.
    Aber diese Erwägungen lösten mein
Silberproblem nicht. Als mich die Intourist-Dame beleidigt verlassen hatte, hockte
ich in meinem Hotelzimmer verärgert vor der Papierserviette und zerbrach mir
den Schädel, was nur zu machen sei. Daß es einen Zug von Leningrad zur
finnischen Grenze gab, der in Tarchowka hielt und vom Finnischen Bahnhof
abfuhr, hatte ich bereits herausgefunden. Aber — wie sollte ich an ein Billett
kommen? Ja, wie kam ich nur allein aus dem Hotel heraus? Angenommen, ein
Bahnpolizist erkundigte sich nach meinen Absichten? Sollte ich antworten, ich
wolle nur eben ein paar

Weitere Kostenlose Bücher