Bären im Kaviar
jemand die Nickelteile für fünfundsiebzig Dollar an den sowjetischen
Altmetall-Trust verkauft habe — kein schlechtes Geschäft, wenn man bedenkt, daß
wir den ganzen, heilen Rolls-Royce für nur fünfzig Dollar vom zukünftigen
britischen Schatzkanzler erstanden hatten.
Doch selbst dann hörte der brave Wagen
nicht auf, sich nützlich zu erweisen. Als nach der Evakuierung der meisten
Diplomaten, Botschafts- und Regierungsangestellten nach Kuibyschew das Leben in
Moskau ziemlich rauh und unangenehm wurde, sammelten sich die verbliebenen
Amerikaner im Spaso-Haus, das bald unter einer beachtlichen Überbelastung des
gesamten Rohrleitungssystems litt. So grub also unser Botschaftsschreiner
Leino, ein intelligenter und wendiger Finne, eine Grube unter das Differential
und verwandelte den Wagen nach einigen Umbauten des ausgebombten Rücksitzes in
das wahrscheinlich erste Rolls-Royce-Wasserklosett in der Geschichte der
Klempnerei.
Eine Seitentür nach Sowjetrußland
Vor dem Zweiten Weltkrieg war der
populärste Besucher der amerikanischen Botschaft in Moskau der diplomatische
Kurier aus Washington. Er reiste nicht im Schlitten, und er trug keinen weißen
Bart wie der Weihnachtsmann, aber er machte beides mehr als wett dadurch, daß
er nicht einmal jährlich, sondern jeden zweiten Donnerstag kam. Außer
supergeheimen Instruktionen des State Department und der Post von zu Hause
brachte er alles mit, was die Russen in ihren Fünfjahresplänen vergessen hatten
— vom Heftpflaster bis zu Außenbordmotoren.
Als der Krieg ausbrach, war der Kurier
eines seiner ersten Opfer. Der Nordexpreß von Paris bis zur Sowjetgrenze
stellte den Betrieb sogar schon vor Kriegsausbruch ein. Der Kurier wurde dann
durch die Schweiz oder Skandinavien manövriert, aber im Verlaufe des Krieges
mußte er immer weiter südlich ausweichen, bis er schließlich über Südafrika
nach Persien fuhr. In Teheran erwartete ihn gewöhnlich jemand von der Botschaft
und beförderte die Dokumente nach Moskau.
Auf einer solchen Stippvisite in
Teheran fand ich Djulfa — die Seitentür nach Sowjetrußland.
Vor dem Kriege fuhr man, wenn man von
Teheran nach Moskau wollte, mit dem Auto nach Kaswin und von dort nördlich
durch das Elbrusgebirge nach Pahlevi, einem Hafen am Südende des Kaspischen
Meeres. Dort erwischte man einen kleinen Sowjetdampfer namens »Krieger«, der —
sofern es das Wetter zuließ — einmal wöchentlich Passagiere nach Baku
beförderte. Von hier aus konnte man einen russischen »Expreß« nach Moskau
benutzen. (Russische »Expreß«-Züge sind wahrhaft einzigartige Institutionen.
Einmal habe ich für neunhundertsechzig Kilometer ganze fünf Tage gebraucht. Das
bedeutet eine Durchschnittsgeschwindigkeit von acht Kilometern pro Stunde.)
Aber es gab noch einen anderen Weg von
Teheran nach Moskau, obschon kaum einer je von ihm gehört hatte. Selbst ich
erfuhr davon nur zufällig durch einen alten deutschen Globetrotter, der ihn vor
der Revolution benutzt hatte. Er führte durch den südlichen Kaukasus und
berührte das Kaspische Meer überhaupt nicht.
Wer ein Visum besaß, das einen
berechtigte, die Grenze an dieser Stelle zu passieren, fuhr von Teheran nach
Kaswin und dann immer weiter westlich bis nach Täbris, der Hauptstadt
Kurdistans. Von Täbris führt eine wenig benutzte Straße nördlich zum Dorfe
Djulfa auf der persischen Seite des Kaukasus.
Djulfa besteht in Wirklichkeit aus
zwei Hälften — der persischen und der russischen — , die durch einen wilden,
tosenden kleinen Gebirgsfluß, den Aras, geteilt und nur durch eine
altersschwache und nicht mehr unbedingt haltbare, rostige Eisenbahnbrücke
miteinander verbunden sind. Diese Brücke wurde zur Zeit der Zaren erbaut, in
jenen glanzvollen Tagen, in denen noch eine richtige — seither leider längst
aufgegebene — Eisenbahnlinie Täbris mit Tiflis in Russisch-Georgien verband.
So wenigstens stellten sich mir die
Dinge damals im Jahre 1940 dar. Nachdem Persien später russisches Nachschubland
wurde, mag sich vieles geändert haben. Ich selber bin jedenfalls seitdem nicht
wieder dort gewesen und habe es auch — aus Gründen, die jeder Leser bald
begreifen wird — für den Augenblick nicht vor.
Die Djulfa-Route war offiziell bereits
seit vielen Jahren geschlossen, und ich war vorher immer über Pahlevi und Baku
gefahren, wobei ich mir jedesmal von neuem schwor, es nie wieder zu tun. Das
Kaspische Meer — um damit zu beginnen — ist in den letzten paar
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