Bären im Kaviar
Von
Stoßstange zu Stoßstange war sie sicher zehn Meter lang. Aber Stannard
behauptete unentwegt, mit dem Motor könne man noch allerhand Sachen machen. Was
für Sachen es auch immer gewesen sein mögen — Stannard machte sie. Und dann
starteten wir zusammen zur Probefahrt auf der einzigen guten Straße Rußlands —
der Moschaisker Chaussee, die zu meiner, und zufällig auch zu Stalins, Datscha
führte.
Die altmodische Kiste erregte im
Handumdrehen die Aufmerksamkeit anderer Motoristen, und sehr bald schon waren
wir die Zielscheibe nicht sehr komischer Witze über kapitalistische
Rückständigkeit. Mit der Zeit wurden wir den sprühend fortschrittlichen
Sowjetgeist ein bißchen leid und forderten den nächsten Witzbold zu einem
»kleinen Wettrennen« auf.
Als Start schlugen wir einen Punkt
vor, der etwa einen Kilometer weit vor uns lag, und als Ziel eine Stelle, die
noch einen Kilometer darüber hinaus und fünfhundert Meter vor einer scharfen
Kurve war, in der die Chaussee durch eine lebensgefährliche Unterführung lief.
Die Russen nahmen die Herausforderung an und waren mit einem Einsatz von
zwanzig Rubeln einverstanden. Gemächlich glitten sie auf den Start zu. Ihr Auto
war ein russischer Ford, ein guter Wagen mit hundert Kilometer
Spitzengeschwindigkeit.
Sowie sie abfuhren, machten Stannard und
ich uns an die Arbeit. Ich bekam das Steuerrad anvertraut; das sei am
einfachsten, setzte mir Stannard auseinander, der alles andere selbst übernahm.
Er drehte an den Ventilen, er pumpte, er stellte Hebel ein. Der Rolls kam in
Fahrt. Stannard pumpte kräftiger, und vereint schalteten wir in den
nächsthöheren Gang. Der Tachometer funktionierte nicht, aber ich merkte auch
so, daß wir ein ganz hübsches Tempo erreicht hatten, als wir die Startlinie
kreuzten. Der Ford wartete schon. Mit seinem starken Anzugs vermögen war er
jedoch im Nu auf Touren und brauste an uns vorbei.
Stannard schwitzte, pumpte, drehte
Drähte, schaltete Schalter und spielte auf einem halben Dutzend Hebeln Klavier.
Dann ruckte er den Schalthebel mit letzter Kraft in einen Super-Schnellgang.
Ich hing unterdessen über dem riesigen Steuerrad, als ob es um mein Leben
ginge, und versuchte krampfhaft, im Steuern das Obergewicht der alten Kiste
abzufangen. Momente später dröhnten wir mit hundertzwanzig Sachen über die
Chaussee, überholten in einer wahren Tempo-Explosion den russischen Ford und
kreuzten die Ziellinie hundert Meter in Führung.
Doch dann folgte das Anhalten. Ich
krachte meinen Stiefel mit aller Macht auf die Bremse. Stannard zog aus
Leibeskräften an der Handbremse, während er zugleich alle seine Ventile,
Klappen und Hebel öffnete. Langsam, langsam reagierte die ungefüge
Riesenschachtel, und als wir endlich standen, befanden wir uns knapp vor der
Unterführung. Wir flogen an allen Gliedern vor Anstrengung. Die Russen stoppten
neben uns und reichten uns beschämt ihre zwanzig Rubel. Ich war eben noch
fähig, ein paar Vergleiche zwischen fortschrittlicher russischer und
altmodischer britischer Technik anzubringen, ehe sie sich geschwind aus dem
Staub machten.
Obschon dieser Sport doch recht nervenzermürbend
und muskelanstrengend war, fanden wir ihn lustig und machten noch etliche
Wettfahrten um ein paar ehrliche Rubel auf der Chaussee. Doch dann wurde unser
Botschaftsrat, Walter Thruston, eines schönen Abends Zeuge einer solchen
Vorstellung. Er ließ mich am anderen Tag zu sich kommen und meinte, er fände es
doch vielleicht ein wenig würdelos für einen Botschaftssekretär, auf Stalins
Lieblingsstraße Rolls-Royce-Wettfahrten zu veranstalten. Außerdem — fände er —
sähe das Ganze nicht eben nach einer Lebensversicherung aus.
Die alte Rolls-Limousine kam
schließlich zu einem traurigen Ende. Als der Krieg mit Deutschland ausbrach,
hielten wir sie weiterhin in bester Verfassung, für den Fall, daß wir Moskau
vielleicht überstürzt verlassen mußten. Wir berechneten, daß wir dann immerhin
einige besonders große Benzinbehälter in ihr unterbringen und sie in der
Karawane der Botschaftswagen als Tankstelle mitlaufen lassen könnten, bis sie
stehenbleiben würde. Doch wir verließen Moskau per Zug, und die Limousine stand
unbenutzt im Hof der Botschaft bis zu einem der ersten deutschen
Bombenangriffe. Eine Stabbombe fiel durch Verdeck und Rücksitz. Zwar
explodierte sie glücklicherweise nicht, doch setzte sie den alten Wagen für
immer außer Betrieb und besiegelte so sein Schicksal. Später wurde mir erzählt,
daß
Weitere Kostenlose Bücher