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Bären im Kaviar

Bären im Kaviar

Titel: Bären im Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles W. Thayer
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einem vernachlässigten Teehaus, um nach dem Zollbeamten zu
fragen. Der Ladenbesitzer gab zu, daß ein solcher Herr existiere, bemerkte aber
gleichzeitig, daß er, da die Grenze schon unendlich lange geschlossen sei,
keine Ahnung habe, wo man ihn findenkönne. Ich setzte mich an einen wackligen,
verstaubten kleinen Tisch im Schatten eines Pisangbaumes und schickte den
Fahrer los, den vermißten Beamten irgendwo auszubuddeln.
    Sehr viel Verkehr herrschte ganz
offensichtlich in diesem Teehaus nicht, denn es nahm eine gute halbe Stunde in
Anspruch, den alten Kupfersamowar zu heizen und einen dünnen Tee zu
produzieren.
    Kaum hatte ich ihn ausgetrunken, als
der Fahrer schon mit einem verschlafenen, grauhaarigen und graubärtigen alten
Herrn mit einer Schirmmütze auf dem Kopf zurückkehrte. Er begrüßte mich
feierlich, verneigte sich bis zum Boden und verkündete, daß er mir trotz der
ungewöhnlichen und ungelegenen Stunde — der seines Mittagsschlafes vermutlich —
zur Verfügung stehe. Ich sagte ihm, ich wolle über die Grenze nach Rußland. Er
zwinkerte verständnislos und bat mich, meine Worte zu wiederholen. Ich sagte
noch einmal, ich wünschte über die Brücke nach Sowjet-Djulfa zu gehen.
    »Die Grenze überqueren? Über die
Brücke? Sowjet-Djulfa? Aber das tut niemand — seit zwanzig Jahren ist niemand
mehr hier über die Grenze gegangen. Die Russen würden es auch gar nicht
zulassen.«
    Ich zeigte ihm meinen Paß, und er
examinierte sorgfältig das sowjetische Visum.
    »Ja, ja, es mag schon in Ihrem Paß
stehen, doch die Konsuln da unten in Teheran verstehen nichts davon. Weshalb
wollen Sie auch nach Sowjet-Djulfa gehen?«
    Ich erklärte ihm, daß ich Djulfa nur
durchqueren wolle. Mein eigentliches Ziel sei Moskau.
    »Moskau! Allah schütze dich! Djulfa
ist schon schlimm — aber Moskau!« Er schüttelte mitfühlend den Kopf und
bedauerte den unwissenden Fremdling. »Ein Amerikaner«, murmelte er fassungslos
vor sich hin, »und er will nach Sowjet-Djulfa und nach Moskau gehen!«
Unzweifelhaft betrachtete er den Aras als die äußerste Grenze der bewohnbaren
Welt. Jenseits davon lag die geheimnisvoll-fürchterlich andere Welt Rußlands.
Endlich aber überzeugte ich ihn doch, daß ich — wahnsinnig oder nicht — heute
noch die Grenze überschreiten wolle.
    »Inschallah — Allah will es!« sagte er
zum Schluß ergeben. »Wenn Sie müssen, will ich es Ihnen gestatten. Aber
vergessen Sie nicht: Sie gehen auf eigene Verantwortung.«
    Wir kletterten ins Auto und fuhren
wieder einige Kilometer nordwärts, immer an den Eisenbahnschienen entlang, bis
wir an den Aras kamen, wo eine alte, morsche, balkengestützte Brücke die Bahn
auf die sowjetische Seite hinüberführte. Am Südende der Brücke trug ein kleiner
Bretterverschlag in verwaschener, kaum lesbarer Farbe die Aufschrift:
»Grenzstation«. Drinnen döste, auf dem Boden liegend, das Gewehr quer über dem
Bauch, ein persischer Soldat. Der Zollbeamte förderte ein paar Gummistempel
zutage, mit denen er meinen Paß verzierte, lieh sich meinen Füller aus, um noch
einige weitere unlesbare Hieroglyphen danebenzumalen, und erklärte mich nunmehr
für offiziell aus dem Reich des Schahs verwiesen. Der Soldat nahm meinen Koffer
und die Diplomatentaschen und deponierte sie mitten auf der Brücke. Der Beamte
schüttelte ernst und traurig meine Hand und bestieg ganz erschöpft seinen
Wagen. Ohne Zweifel: Diese harte, ungewohnte Tagesleistung war zuviel für ihn!
    Einen Augenblick betrachtete er mich
grübelnd durchs Fenster, dann drehte er es herunter, um mit mir sprechen zu
können.
    »Freund, wissen Sie wirklich, was Sie
tun?« fragte er väterlich besorgt. Ich nickte: jawohl. Er zuckte die Schultern
und wackelte bedauernd mit dem grauen Kopf, dann fuhr der Wagen an. Innerhalb
weniger Minuten waren Zöllner, Fahrer und Auto nur mehr ein Staubwölkchen
südwärts in der unendlichen Wüste.
    Die Dämmerung brach bereits herein,
als ich endgültig auf die Brücke zumarschierte. Ein leichter Wind hatte sich
erhoben, und die rostigen eisernen Stützen und Streben über meinem Kopf
knirschten und knarrten. Als ich von Schwelle zu Schwelle schritt, traten meine
Füße durch die morsche Holzauflage. Zwischen den Schwellen glitzerte der
wirbelnde, schäumende Gebirgsfluß fünfzehn Meter unter mir. Die Spannweite der
Brücke betrug kaum mehr als fünfunddreißig Meter, doch mir schien der Weg
endlos. Als ich mich schließlich dem jenseitigen Ende näherte, sah ich

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