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Bären im Kaviar

Bären im Kaviar

Titel: Bären im Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles W. Thayer
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auf der Bildfläche und versprach mir seinen eigenen Wagen, wenn
ich bloß eben vorher zur Sektprobe käme. Jammernd sagte er, daß sich die
gesamte höhere Beamtenschaft, eingeschlossen die Leiter des Kreissowjets (der
Gouverneur) und des Stadtrates bereits auf die Sektprobe freuten, seit Moskau
ihnen mein Kommen gemeldet habe. Sie würden tief enttäuscht sein, wenn ihr
amerikanischer Freund sie im letzten Moment im Stiche ließe. Außerdem sei es
schon elf Uhr, und sicherlich würde ich einmal um der russisch-amerikanischen
Beziehungen willen eine Fünf gerade sein lassen und meine Nüchternheitsgrenze um
eine Stunde vorverlegen. Ich blieb hinsichtlich des Autos skeptisch, bis sie
sich dazu herbeiließen, mir den Schlüssel auszuhändigen, damit niemand es
wegnehmen konnte. Ich stopfte den Schlüssel tief in die Tasche und begab mich
zur Rostower Elite ins Probierzimmer.
    Die Affäre begann mit der üblichen
Anzahl Toasts: auf Stalin, auf Roosevelt, auf Hull, auf Molotow, auf Mikojan,
auf den Leiter unseres Ernährungsministeriums... (Wer war eigentlich der
amerikanische Ernährungsminister?) Anschließend pries der Fabrikdirektor in
einer endlosen Ansprache die sowjetische Industrie und führte beredsam aus, wie
Stalin jedermann durch riesige Mengen Champagner glücklicher zu machen wünsche.
Dann erhob sich der technische Direktor, ein alter Franzose, der irgendwie nach
der Revolution in Rußland gestrandet war, und richtete einen dringenden Appell
an die Winzer Frankreichs, sich ein Beispiel an den progressiven russischen
Sektspezialisten zu nehmen und zu lernen, wie man in sechs Monaten guten
Champagner macht, anstatt in jahrelanger Arbeit das bisherige filzige,
widerliche Kapitalistengesöff zu produzieren. Im Niedersetzen flüsterte er mir
zu:
    »Haben Sie schon jemals solchen Mist
gehört?«
    Mittlerweile hatte ich genug probiert
und verkündete, daß ich nunmehr zu gehen gedächte. Ein Sturm des Protestes
erhob sich. Sie wären ja noch nicht einmal dazu gekommen, mir ihren neuen roten Champagner zu zeigen, den sie gerade erst — dank Stalin und Mikojan — erfunden
hätten. Ich sagte, roten Champagner hätte ich schon in Frankreich probiert, und
zudem sei er mir vom Arzt verboten. Schade; doch wie wäre es mit
sechzigjährigem Cognac Napoleon, den zu fabrizieren ihnen soeben — dank der
fortschrittlichen russischen Wissenschaft — nach nur drei Monaten gelungen sei?
Ich bedauerte außerordentlich, daß mich sechzigjähriger Kognak immer krank
mache. Aber wenigstens ihren alkoholfreien Champagner könnte ich doch
probieren? Mein Gesicht verzog sich bei diesem Vorschlag derartig, daß sie
befürchteten, mir würde auf der Stelle übel. Schließlich gaben sie es auf und
begleiteten mich in langer Prozession zum wartenden Wagen. Erst nachdem ich
mich ganz bequem neben den Fahrer gesetzt hatte, gab ich ihm den Schlüssel und
befahl loszufahren. Der Bürgermeister und ein kleiner Mann im vertrauten blauen
Sergeanzug der GPU, der mir als Diplomlandwirt vorgestellt worden war, nahmen
hinten Platz.
    Vor der Abfahrt wurde zwischen dem
Bürgermeister, dem »Diplomlandwirt« und dem Chauffeur eifrig geflüstert. An der
ersten Kreuzung schlug der Fahrer die Richtung zur Stadt ein. Ich wies
energisch darauf hin, daß ich schon früher in Rostow gewesen sei, daß er nicht
aus der Stadt hinaus, sondern in sie hinein fahre, daß ich ganz genau wisse, es
gäbe keine Kolchose im Rathaus, und daß ich ihn ersuche, gefälligst schnellstens
die andere Richtung einzuschlagen. Mein Vorgehen schien ihn zu beeindrucken;
denn er drehte achselzuckend das Steuerrad hemm und fuhr aufs offene Land zu.
    Nach zehn Minuten Fahrt beugte sich
der »Diplomlandwirt« vor und flüsterte dem Fahrer aufgeregt etwas ins Ohr. Ich
war durchaus nicht erstaunt, als er einen Augenblick später die Luftklappe fast
aus dem Armaturenbrett riß. Der Motor spuckte und starb ab. Der Fahrer sah
hocherfreut aus und sagte:
    »Bedaure, Maschine kaputt. Wir müssen
umkehren.«
    Ich beugte mich vor, drückte die
Luftklappe wieder hinein und ermunterte ihn, auf den Starter zu treten und
weiterzufahren. Ich sei zwar kein fortschrittlicher Sowjetchauffeur, gab ich
zu, verstünde jedoch einiges von amerikanischen Kapitalistenautos. Der Fahrer
zuckte wieder mit den Schultern, startete und brauste los.
    Fünf Minuten vergingen, dann begann
der »Diplomlandwirt« erneut mit dem Fahrer zu flüstern. Im nächsten Moment
schon stellte er den Motor ab, sprang aus dem

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