Bahnen ziehen (German Edition)
halben Stunde unter einem Vorwand zum Fenster zu locken. Als Laura losgeht, trägt sie den Pappmaché-Eselskopf unter dem Arm. Im Wald setzt sie den Kopf auf und kehrt um. Doch auf halbem Weg den Abhang hinauf bleibt sie in einem Dickicht von Hemlocktannen stecken, deren Nadeln sich im Fell des Eselkörpers verfangen.
Bahn 40, Derek: Mein Bruder versucht, den Deckel einer Dose in Honig gerösteter Erdnüsse aufzuschrauben, und seine dehnbaren Fingergelenke biegen sich dabei fast ganz zurück.
Bahn 42, Shopping: Das staubige Beige-Rosa einer Hose, die ich in Berlin gesehen habe, mir aber nicht leisten konnte.
Bahn 43, Berlin: Jenny im Schwimmbad des Holiday Inn, breit grinsend, während sie ihre Runden brustschwimmt. Unser Flug ist storniert worden, und wir sind in dem Vorstadthoteluntergekommen, nachdem verschiedene Delta-Angestellte uns den ganzen Tag lang erklärt haben, was wir wollten, sei unmöglich.
Der Hotelpool hat keine Überlaufrinne, und ich produziere kabbelige Wellen. Hin und wieder sehe ich auf die Uhr, wenn ich von Freistil zu Rücken wechsele, von Rücken zu Brust, und dann fünfundzwanzig Bahnen mit einem kleinen roten Brett Beinarbeit trainiere.
Bahn 45, Pullover: Die Vorstellung eines V -Ausschnitts gefällt mir besser als die Realität.
Bahn 49, Haarspülung: Als Gus und Jason nach Korea fuhren, um den Druck von Gus’ erstem Fotoband zu überwachen. Jason fiel auf, dass Gus’ Haare von Tag zu Tag fettiger wurden. Nach vier Tagen sprach er es an. Gus erklärte, er sei selbst entsetzt, doch er würde täglich das koreanische Shampoo und die Spülung benutzen, die in der Hoteldusche bereit standen. Jason erklärte ihm, es gebe keine Spülung im Hotel, nur Handcreme.
Bahn 52, Hotels: Jemand hat mit dem Finger die fünf olympischen Ringe an den beschlagenen Badezimmerspiegel gemalt. Unsere Mannschaft belegt zehn Zimmer auf einem langen Gang. In den meisten sind Badewannen, Plastikbehälter und Waschbecken mit heißem Wasser gefüllt. Dünne weiße Hotelhandtücher und dicke Mannschaftshandtücher sind vor und zwischen den Betten ausgebreitet. Wir ziehen uns aus, bis wir nur noch unsere zwei Nummern zu kleinen Wettkampfschwimmanzüge anhaben, und holen Großpackungen blauer, rosa- und orangefarbener Einmalrasierer heraus. In einem Zimmer laufen auf einem tragbaren Kassettenrekorder bei voller Lautstärke die Simple Minds. In unserem Zimmer hören wir Tears for Fears.
Vom Rasieren wird das Wasser in Eimern und Becken trüb und haarig, die Teppiche sind dunkel, nass und mit Schaumflecken übersät, in den Zimmern und im Gang stinkt es nach Barbasol- und Noxzema-Rasierschaum. Jungs mit halben Bärten und halben Irokesen stürmen in unser Zimmer, stolzieren zwischen den Betten auf und ab und rennen wieder hinaus. Es ist Freitag, der erste Abend des Wochenendwettkampfs. Ein paar Schwimmer, die sich schon vor den Vorläufen rasiert haben, sehen ihren Zimmergenossen vom Bett aus zu und zucken zusammen, wenn sich jemand schneidet. Sie bieten an, uns den Rücken, die Beine von hinten und die schwer erreichbaren Stellen der Oberarme zu rasieren.
Ich teile mir das Zimmer mit den drei Marys. Eine von ihnen rasiert mir den Rücken, während ich auf dem Bauch liege und zum verschneiten Balkon hinausblicke. Wir haben Milchtüten und Joghurts zum Kühlen vor die Schiebetür gestellt, sie tragen kleine Schneehauben. Während Mary K. mir mit dem Rasierer über Schulterblätter und Wirbelsäule schabt, frage ich mich, ob die Milch gefriert und ob meine Haare schwarz und dick nachwachsen. Die Arme rasiere ich mir selbst.
In Sudbury, Ontario, der Heimatstadt des Olympioniken Alex Baumann, wird an der Laurentian University eine dreitägige Kurzbahnmeisterschaft unserer Altersklasse ausgetragen. Mitten im Winter wirkt Sudbury wie eine Mondbasis. Der Boden ist weiß, genau wie die dampfenden Gebäude, Mauern, Dächer. Es ist eine weit ausgedehnte Stadt, die vom Nickelabbau lebt, und ihr Wesen fühlt sich mineralisch, wissenschaftlich, kalt an.
Später, als ich nach dem ersten Abend und einer Portion Spaghetti im Bett liege, fühlen sich die Laken kühl und glatt auf meiner Haut an, als würde ich durch sie hindurchrutschen, als würde eine Brise über meinen Körper wehen, die allmählich wärmer wird. Im Dunkeln bewege ich langsam Arme und Beine unter der Decke, in der Hoffnung, dass Mary L. neben mir nicht aufwacht, dann rolle ich mich auf den Bauch und drücke die Stirn in die Fäuste. Leise stelle ich mir
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