Bahnen ziehen (German Edition)
auch meine eigenen bemerke. Als wir Startsprünge üben, klemme ich die Arme hinter die Ohren und sehe seitwärts vom Startblock zum Trainer hinüber.
Stan erklärt mir, dass man feststellen kann, ob man Mundgeruch hat, indem man sich den Arm leckt und daran riecht.
Bei einem Wettkampf treffe ich in der Dusche auf eine Frau, die sich gerade einseift, splitternackt, ein weißer Tamponfaden baumelt ihr zwischen den Beinen. Ich dusche im Badeanzug, der Anblick von Brustwarzen und Schamhaar irritiert mich. Irgendwann werden meine prüden Kanten von den Teamkameradinnen abgestumpft. Bei einem Wettkampf schwingt Nuala einen abgepackten Tampon (mit Einführhilfe) wie einen Zauberstab und johlt: »Zeit, den Stöpsel rauszuziehen!«
Agnes hat milchweiße Haut, langes rotes Haar und eine tiefe Stimme. Sie ist sarkastisch und widerspricht ihrem Trainer. Wir schwimmen die gleichen Wettkämpfe, und ich wäre gern schneller als sie. Ein Jahr lang schwimmt sie mir davon, bis ich sie immer häufiger schlage.
Während zwei Jungs aus unserer Mannschaft Langstrecke schwimmen, schlüpfen Jen und ich in ihre Jogginghosen und großen schmutzigen Turnschuhe, werfen uns ihre Parkas über – auf denen Joe und Conrad steht –, ziehen uns die feuchten Kapuzen tief ins Gesicht und marschieren durch die Jungsumkleide. Vor lauter Angst, den Kopf zu heben, sehe ich nur nackte Füße und noch mehr große schmutzige Turnschuhe.
Ian war der erste, der in der Schwimmhalle Fäustlinge getragen hat wie die Schwimmer der UCLA .
Jon und Desmond versuchen auf einer Stoppuhr die kürzestmögliche Zeit zu nehmen, indem sie auf Start und sofort wieder auf Stopp drücken. Sie kommen beide auf 00:00:05. Ich habe einmal 00:00:03 geschafft, aber ich sage nichts und beobachte sie aus dem Augenwinkel. Nach zwei Minuten setze ich die Kopfhörer ab und wickle die Schnur um meinen Walkman. Jon hält mir die Stoppuhr hin. »Willst du auch mal?«
S TUDEBAKER
Als ich sechs war, kaufte meine Mutter meinem Vater einen riesigen Chocolate-Chip-Cookie zum Geburtstag. Vom Bäcker ließ sie mit Schokoladenguss darauf schreiben: »Für meinen Studebaker-Narr in Liebe«. Es gibt ein Foto von meinem Bruder, meinem Vater und mir auf dem Sofa mit dem Riesenkeks in der Mitte und weit aufgesperrten Mündern, als wollten wir gerade ein großes Stück herausbeißen.
Bevor Derek und ich zu schwimmen anfangen, werden unsere Familienurlaube um Autoliebhaber-Treffen herum geplant. Mein Vater, aktives Mitglied der Ontario Division des Studebaker Drivers Club, packt uns in seinen weißen 1964er Gran Turismo Hawk, den 1963er Raymond Loewy Avanti oder meinen Liebling, den eleganten grünen 1953er Champion Starliner Coupé, auf dessen Hutablage Mottenkugeln hin und her rollen, und fährt mit uns südwärts in die USA . Ich sehe zu, wie aus der kanadischen Landschaft eine amerikanische Landschaft wird, wie die Steinhäuser Holzhäusern weichen, wie die Werbetafeln lauter brüllen und die Bürgersteige holprig werden. Ich stemme die Beine gegen die Kühltruhe auf dem Rücksitz und rieche an meinen Knien, oder ich sitze im Schneidersitz, lehne mich zurück und starre das gelöcherte weiße Leder der Wagendecke an, bis ich das Gefühl habe, die schwarzen Punkte schwebenMillimeter vor meinen Augäpfeln. An Sommerwochenenden schlendern wir an langen Reihen verchromter Oldtimer auf und ab, die nebeneinander auf grünem Rasen parken. Manchmal spielen Derek und ich mit amerikanischen Kindern, die die gleichen rotblauen Studebaker-Drivers-Club-T-Shirts tragen wie wir.
Meistens verspüre ich eine tiefe Langeweile, die Langeweile, klein und behütet zu sein, die Langeweile von Rücksitzen, die Langeweile von verchromten Autoteilen, die auf dem Gras liegen oder als ölige Haufen auf Tischen aus aufgebocktenTürblättern. Ich finde es seltsam peinlich, wenn ich im Fenster eines glänzenden Studebaker Lark eine rosa Karte sehe, auf der kokett steht: Bitte fass mir nicht an die Teile ...
Mein Vater verspricht mir eine liebesapfelrote 1957er Corvette, wenn ich bei den Olympischen Spielen Gold gewinne. In einer Ecke unseres Esszimmers steht eine zwei Meter hohe Vitrine, in der seine Sammlung von Matchboxautos, Studebaker Dinky Toys und andere Andenken ausgestellt sind. Wenn die Vitrine am Strom hängt, dreht sich ihr Innenleben, die Fächer sind beleuchtet, und die Autos fahren langsame Runden im Uhrzeigersinn. Das Timex-Schild, das früher oben hing, wurde durch ein Schild ersetzt, auf dem
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