Bahnen ziehen (German Edition)
olivgrünen Ton und färbt meine Haut unter den Wellen ockerfarben. Es gefällt mir, meinen nackten Körper, den ich sonst eher in der Wanne oder unter der Dusche zu Gesicht bekomme, hier draußen zu sehen, an der Sonne, im Meer; inmitten der nackten Körper anderer Frauen, dünnen, dicken, mit schlaffen und straffen Körperteilen. Ich fühle mich gut – befreit von der ständigen Hinterfragung dessen, was ich anziehen soll –, ich fühle mich zugleich unsichtbar und ungehemmt. Außerhalb des Wassers sind meine Bewegungen noch verschämt: Ich halte mir einen Arm vor die Brüste, setze die Füße vorsichtig zwischen Handtücher und Beine. Aber es ist ein sehr bodenständiges Gefühl, ich muss mir kein Lycra über die Pobacken zupfen oder an die Bikinizone denken, genauso wenig wie an Bahnen, Tempo, Zeit.
23. Senfgelber Vintage-Bikini mit weißen Punkten von Charmant, Freizeitschwimmen, 2011.
Erworben bei Gadabout, Toronto. Getragen als Gastgeberin einer Poolparty, bei der die Gäste Bananagrams, Krocket und Catchphrase spielten.
Eine gleichgültige Tierhaftigkeit sticht jede Erotik aus. Als würden wir uns mit höflichem Desinteresse unsere Felle, unsere Ähnlichkeiten zeigen. Ich sehe mich selbst immer noch als junge Schwimmerin, als flache Röhre im Badeanzug, als neutrale, androgyne Athletin. Doch ohne meinen Speedo-Anzug bin ich eine Badende, ein Körper. Jetzt, wo ich auf die vierzig zugehe, wird mein Schwimmerinnen-Ich vom Einzug in irdische Gefilde wie Ehe und Familie untergraben. Schwimmen ist meine körperlose Jugend, doch ich verwandle mich rasant in körpergewordene Gegenwart.
24. Vielfarbiger Nylon-Bikini von Speedo, Freizeitschwimmen, 2011.
Erworben bei Gadabout, Toronto. Getragen im Schweizer Vals und im schwedischen Kolsva. Hose im Pariser Bains du Marais verloren, doch später in der Tasche meines Bademantels ganz unten im Wäschekorb wiedergefunden.
Ein Freund schickt mir einen Link zu ein paar Fotos, bei denen er an mich denken musste. Der Fotograf ist George Silk, das Modell die vierzehnjährige Turmspringerin Kathy Flicker im Dillon Pool der Princeton University im März 1962. Die Schwarzweißbilder haben etwas von Geisterfotografie. Flicker wird von der Wasserlinie geteilt, ihr Kopf wirkt verschoben, ihr Körper grotesk angeschwollen. Was sich unter der Wasseroberfläche befindet, ist losgelöst von unserem gewohnten Physikverständnis. Die Fotos fangen etwas von der selten beschriebenen Metaphysik des Schwimmens ein: Unter Wasser fühlt sich der Körper vergrößert an, schwerer und leichter zugleich. Gewichtslos – und doch stärker.
25. Schwarzer hochgeschlossener Speedo-Badeanzug, Bahnenschwimmen, 2011.
Erworben bei Le Bon Marché in Paris. Entdeckt in einer Abteilung im zweiten Stock, die » le week-end « gewidmet ist: teure Kaschmir- und Baumwollpullover mit weichen Schultern in gedämpften, dezenten Farben, die mich an niederen Adel erinnern. Getragen beim Bahnenschwimmen in der Piscine de Pontoise. Ich hatte vergessen, ein Handtuch mitzubringen, und ließ mich, als ich mit meinem Vélib’-Leihrad zum Hotel zurückfuhr, vom Wind trocknen.
Ich schwimme an zwei älteren schwedischen Damen vorbei, die mit herausgestrecktem Kopf herumpaddeln und sich dabei unterhalten, als eine junge Frau von der ersten Plattform des Sprungturms springt. Als sie zu den Stufen zurückschwimmt, sehe ich ihrer bleichen Gestalt nach, dann steige ich selbst aus dem Becken und gehe zum Turm. Eine Wendeltreppe aus Holz führt zu den beiden Plattformen, von denen sich die höhere rund zwölf Meter über dem Wasser befindet. Die andere Plattform liegt etwa fünf Meter darunter, von dieser springe ich, splitternackt, in die grünen Wellen.
26. Lila Aquarapid-Badeanzug, erworben in Turin während der Kunstmesse Artissima 2010, Freizeitschwimmen, 2010-2011.
Getragen im Pool eines Holiday Inn in Minneapolis, vor dem Besuch der Eröffnung von Jasons erster Museums-Einzelausstellung im Minneapolis Institute of Arts. An der Wand des Schwimmbads war mit Tesafilm ein Zettel befestigt, auf dem stand:
ZUR BEACHTUNG BEI
BENUTZUNG DES POOLS
Die schwarzen Striche am Grund des Beckens stammen von einem Gast, einem Kunststudenten, der mit wasserfesten Markern experimentierte. Der Pool ist sauber und sicher. Um die Striche zu entfernen, müssen wir das Wasser aus dem Becken lassen. Wir haben beschlossen, dies während einer ruhigeren Saison zu tun, damit der Pool derzeit von unseren Gästen genutzt werden
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