Bahnen ziehen (German Edition)
alle in James’ Tempo, dann schwimmen André und Xin wieder voraus. Ich bleibe bei James,bis wir sie aus dem Blick verlieren. Langsam werde ich ungeduldig. Wir schwimmen so langsam, dass mir kalt wird. Sein ineffizienter Beinschlag macht mich wütend. Ich schwimme wieder mein altes Tempo, dann drehe ich um, um ihn im Auge zu behalten. Ich kann ihn nicht zurücklassen. Ich denke an den Ring, den er mir vor drei Tagen geschenkt hat.
Ich merke, dass James müde wird. Je näher wir der Küste kommen, desto stärker wird mein Verlangen, einfach loszuschwimmen. Ich schlage vor, dass er sich auf den Rücken dreht und es mit Delphinbeinschlag versucht, um seinen Fuß zu entlasten, und es funktioniert eine Weile, aber er erzeugt mehr Widerstand als Fluss. Als ich neben ihm schwimme, rede ich mit künstlicher Geduld auf ihn ein. Er beklagt sich über seine Flosse. Als ich von ihm wegschwimme und dann wieder zurück, werfe ich einen Blick auf meinen ringlosen Finger. Der Ring saß zu locker, ich habe ihn zu Hause gelassen, weil ich Angst hatte, ihn im Meer zu verlieren.
Endlich nähern wir uns dem Strand, und die Wellen tragen uns zwischen die Ruderboote und die planschenden Teenager. Ich kann Felsen, Fische und den Sand am Grund sehen und schwimme schnell an Land. Am Strand ziehen wir uns die Flossen aus und legen uns in den heißen Sand. James reibt sich die Blase an seinem Fuß. Wir reden nicht. Wir sind fünfundvierzig Minuten geschwommen. Ich gehe allein am Strand entlang, komme wieder zurück. André tauscht mit James die Flossen, und dann machen wir uns auf den Rückweg zum Boot. Hinauszuschwimmen ist leichter, auch wenn uns die Sonne in die Augen scheint. Ich schwimme schnell, gehe an die Grenzen meiner Arm- und Beinmuskeln. James liegt weit zurück, alsokehre ich um. Dann schwimme ich wieder vor. So mache ich es, bis wir in der Nähe des Boots sind.
Als wir das Boot erreichen, kommen von einer nahe gelegenen Jacht drei Personen mit leuchtend gelben Seabobs auf uns zu. Eine von ihnen hat sich die Sonnenbrille auf den Kopf geschoben. Wir geben uns im Wasser die Hand, und sie bieten uns an, ihre Wasserschlitten auszuprobieren. Bei Höchstgeschwindigkeit erinnert mich der Seabob an eine Widerstandsübung beim Training. Wir banden uns mit einem Gummischlauch an einem Ende des Beckens fest und schwammen gegen den Widerstand zur anderen Seite, Zentimeter für Zentimeter, wobei der Schlauch immer dünner wurde. Auf der anderen Seite hielten wir uns am Rand fest, dann ließen wir los, wurden wie ein Fisch am Haken durchs Becken gezogen, pflügten mit übermenschlicher Energie durchs Wasser. Manchmal fühlten sich die ersten Bahnen eines Wettkampfs so an, wenn Kraft noch keinen Schmerz kostete, wenn die vielen Stunden des Trainings sich endlich völlig quallos abspulten. Der Seabob ist die Luxusspielzeugversion dieses Gefühls.
James paddelt herbei und dreht eine Runde. Auch er genießt den Rausch der Geschwindigkeit. Wir lachen, und dann tuckert unser Beiboot mit zwei neuen Gästen heran. Eine Frau streift sich, als sie uns von den Seabobs aus winken sieht, das Kleid über den Kopf und springt oben ohne ins Wasser. Später auf Deck merkt sie, dass sie nur noch einen ihrer Diamantkreolen im Ohr hat.
P ISCINE OLYMPIQUE
Ich checke im Westin ein, Ecke Saint-Antoine und Saint-Pierre in Montreal. Das Gebäude ist riesig und elegant, doch der Pool ist klein, kaum größer als ein Aquarium. Der einzige Bonus: der gläserne Boden, durch den man die Auffahrt am Eingang überblickt. Ich habe ein paar Stunden Zeit, bevor ich in der Buchhandlung sein muss, um eine Serie von neuen Bildern vorzustellen, also gehe ich schwimmen. Zum Bahnenziehen ist es zu klein. Ich schiebe mich von Beckenwand zu Beckenwand und sehe zu, wie unter mir Hotelgäste stumm in und aus Taxis steigen, wie uniformierte Portiers Wagentüren öffnen und schließen. Ich hoffe, dass einer von ihnen nach oben blickt und mich über sich schweben sieht, damit ich winken kann, aber es sieht niemand herauf.
Nach den Qualifikationsmeisterschaften 1992 höre ich mit dem Training auf und versäume die Berichterstattung der Olympischen Spiele in Barcelona, weil ich einen Sommerkurs an einer Kunstschule in Detroit belegt habe. Ich wohne auf dem Campus, tapeziere die Wände mit Skizzenpapier und zeichne große Männerporträts nach Fotos aus alten Vanity-Fair-Ausgaben. Robert Wilsons Gesicht bedeckt eine Wand, Tom Stoppard eine andere. Nach einer ruhigen Woche
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