Bahners, Patrick
christlich-konservative Staatsrechtslehrer, die einen
Kulturvorbehalt zugunsten des Christentums ins Grundgesetz hineinlesen, ist
die Islamkritik eine falsche Freundin. Die These der Unvereinbarkeit von Islam
und Grundgesetz hat nicht nur Annahmen über das Wesen des Islam zu Voraussetzungen,
sondern auch unverhandelbare Forderungen an eine säkularitäts-konforme
Auslegung des Grundgesetzes. Die Islamkritik ist die jüngste Gestalt einer
Religionskritik, deren Mittel und Zweck die Allmacht des Staates ist.
Der Historiker Hans-Ulrich Wehler hat die SPD
aufgefordert, die ursozialdemokratischen Züge von Sarrazins Weltanschauung
nicht zu verleugnen. Es gibt solche altroten Reste in der Farbmischung von
Sarrazins Ressentiments. Dazu gehört das antiklerikale Geschichtsbild: «Am
Ende setzte die säkulare Staatsmacht überall die Säkularisierung gegen die
Kirchen durch, nicht im Dialog mit den Kirchen, sondern durch Entscheidung des
Monarchen beziehungsweise der Bürger gegen die Kirchen.» In der Debatte, die
das Internet Journal «Perlentaucher» über die Frage veranstaltete, ob es einen
Fundamentalismus der Aufklärung gebe, hat Pascal Bruckner die historische
Einordnung der Islamkritik vorgenommen. «Wie sind Europa und Frankreich
laizistisch geworden? Durch den unablässigen Kampf gegen die Kirche und ihren
Anspruch, über die Geister zu herrschen, die Widerspenstigen zu bestrafen,
Reformen zu blockieren, die Einzelnen, vor allem die ärmsten, im Schwitzkasten
der Resignation und der Angst gefangen zu halten.» Muslimische Minderheiten
bringen nach Bruckner die heutigen Rechtsstaaten in die Situation, in der sich
in der frühen Neuzeit die protestantischen Obrigkeiten gegenüber katholischen
Enklaven sahen oder auch protestantische und katholische Obrigkeiten gegenüber
den Juden. «Man vergisst, dass es einen regelrechten Despotismus von
Minderheiten gibt, die sich gegen die Assimilation sträuben, solange diese
nicht mit einem Status der Exterritorialität und mit Sonderrechten verknüpft
ist. So macht man diese Minderheiten zu Nationen innerhalb der Nationen, die
sich dann zum Beispiel zuerst als Muslime und dann erst als Engländer, Kanadier
oder Holländer ansehen: Identität gewinnt die Oberhand über Staatsangehörigkeit.»
Umgekehrt gilt für diesen Laizismus als Republikanismus: Die Staatsangehörigkeit,
in die man zufällig hineingeboren wird, verlangt den Vorrang vor der
Religionszugehörigkeit, die doch in einer Zivilisation der Grundrechte als
Ergebnis einer freien Wahl ihre Dignität hat. Es genügt also nicht, sich in dem
Staat, in dem man sich wiederfindet, wenn man zu politischer Mündigkeit
erwacht, als rechtstreuer Bürger zu verhalten, die ordnungsgemäß zustande gekommenen
Gesetze zu befolgen und gegebenenfalls ändern zu wollen. Man macht sich
verdächtig, wenn man bekennt, dass die Bindung an den Staat nicht die letzte
ist, dass es höhere, natürliche Pflichten gibt, deren Verletzung der Staat
nicht gebieten kann - wenn jemand sich also zuerst als Christ ansieht, weil das
Evangelium den Weg zum ewigen Leben weist, und dann erst als Engländer, dem die
Queen-in-Parliament trotz der Existenz einer Staatskirche nur in zeitlichen
Dingen Vorschriften machen kann. Oder wenn Eltern glauben, dass sie ihr Recht
zur Erziehung ihrer Kinder nicht nur kraft Delegation des Staates wahrnehmen.
Wo Menschen ihre Religion als einen ewigen Bund und den
Staat als ein Provisorium betrachten, da droht laut Bruckner der Separatismus
von «Nationen innerhalb der Nationen», stellt sich also das Problem, für das
die alteuropäische Staatslehre den Begriff des «imperium in imperio» hat. Den
Katholiken wurde in protestantischen Ländern nachgesagt, sie bildeten einen
Staat im Staate, weil sie Befehle von einem ausländischen Souverän empfingen,
dem Papst in Rom, der sich vorbehalte, sie von ihren bürgerlichen Pflichten zu
entbinden. Mit demselben Illoyalitätsverdacht wurden die Juden überzogen, weil
sie ihre Angelegenheiten nach dem jüdischen Religionsgesetz regelten. Heute
verweisen Antisemiten darauf, dass sich Juden auf der ganzen Welt dem Staat
Israel verpflichtet fühlen. Die Anerkennung der gleichen staatsbürgerlichen
Rechte der Katholiken wurde möglich durch die Trennung der Sphären von
staatlichem und kirchlichem Recht. 1850 löste die liberale Regierung Russell
eine Panik in der englischen Öffentlichkeit aus, als der Papst wieder Bischöfe
für England ernannte, obwohl diese katholischen
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