Bahners, Patrick
Staat des Grundgesetzes zugrunde
liege. Islamische Organisationen versicherten in der Regel zwar öffentlich,
auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen, verträten «nach Innen» jedoch häufig
Positionen im Widerspruch zu den Grundwerten der Verfassung. Das
Handlungsmuster der Doppelzüngigkeit, das die Islamkritik Taqiya nennt, setzte
Bertrams ohne Beleg, ja sogar ohne den Begriff, als Normalfall voraus.
Der Anlass des Vortrags war der fünfundsiebzigste
Jahrestag der Barmer Theologischen Erklärung, mit der die Bekennende Kirche dem
von den Deutschen Christen bejahten Totalitätsanspruch des Staates widersprach.
Bertrams setzte sich mit dem Tübinger Theologen Eberhard Jüngel auseinander,
der mit dem Barmer Bekenntnis eine Pflicht der Kirche begründet, sich für die
positive Religionsfreiheit anderer Glaubensgemeinschaften einzusetzen und den
Staat in die Schranken der Toleranz zu weisen. In Verfolgung dieser
Argumentationslinie hatte sich Jüngel gegen ein Kopftuchverbot ausgesprochen.
Der Sozialdemokrat Bertrams glaubt, dass der in Barmen gemachte Vorbehalt
gegenüber dem staatlichen Befehl sich nur auf den verbrecherischen Staat
bezogen habe und im demokratischen Rechtsstaat obsolet sei. Diese Auslegung des
Barmer Bekenntnisses läuft auf eine Restauration des Bündnisses von Thron und
Altar hinaus. Doch unabhängig von allen theologischen Streitfragen gibt es für
Ungläubige und Gläubige gute Gründe der historischen Erfahrung und der
liberalen Philosophie, mit der Barmer Synode die Lehre als falsch zu verwerfen,
«als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die
einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden».
Ayaan Hirsi Ali behauptet, von einem gläubigen Muslim sei
ein Verständnis des Grundrechts auf Leben gemäß Artikel 2 des Grundgesetzes
nicht zu erwarten. «Im Islam beginnt das Leben erst im Jenseits. Sie müssen
sterben, um zum Leben zu gelangen. In unseren Rechtsstaaten schützt der Staat
das Leben. Dazu verpflichten ihn die Gesetze, und die Gesetze werden vom Volk
gemacht. Das ist ein vernünftiger Aufbau, eine säkulare Verfassung. Im Islam
gibt es so etwas nicht. Der Islam anerkennt individuelle Rechte nicht als Wert
an sich. Man unterwirft seinen Willen dem Willen des Propheten und erhält erst
dadurch Rechte und Pflichten.» Müssen die Muslime also den Gehorsam gegenüber
dem Propheten aufkündigen, um sich dem Rechtsstaat einzufügen? Tatsächlich
stimmt Ayaan Hirsi Ali der These zu, eine Vereinbarkeit von Islam und liberaler
Gesellschaft hätte zur Bedingung, dass die Muslime sich nicht an den Islam
hielten. Die Nichtbefolgung der Gebote des Propheten ist das Ziel der von der
Islamkritik ausgerufenen Reformation des Islam.
Wie hat man sich diese Reformation vorzustellen, wenn sie
nicht bloß eine Vision sein soll wie die «Himmelsreise» von Neda Keleks
Buchtitel, die Reise Mohammeds nach Jerusalem, sondern jener historische
Vorgang, auf den die islamische Welt in der Vorstellung der Islamkritik
wartet, ein Vorgang in Raum und Zeit? In den Tagen des gelenkten Aufruhrs gegen
die Prophetenkarikaturen aus Dänemark im Februar 2006 hielt Ayaan Hirsi Ali in
Berlin eine Rede, in der sie den Geist der Stadt anrief. In Berlin sei in
kommunistischer Umzingelung vor den Augen der Welt die Freiheit am Leben
erhalten worden. «Trotz der Selbstzensur vieler im Westen, welche den
Kommunismus idealisierten und verteidigten, und der brutalen Zensur im Osten
wurde diese Schlacht gewonnen.» So müsse die offene Gesellschaft auch in der
Schlacht gegen den Islamismus siegen. Ayaan Hirsi Ali sprach als islamische
Dissidentin, zog die moralische Parallele zwischen Antikommunismus und
Antiislamismus aber nicht ins Feld der politischen Phantasie, entfaltete kein
Programm der Veränderung der islamischen Gesellschaften durch dissidente Fermente.
Stattdessen berichtete sie über den Wandel ihres eigenen Glaubens. «1989, als
Khomeini dazu aufrief, Salman Rushdie zu töten wegen Beleidigung Mohammeds,
dachte ich, dass er Recht hätte. Jetzt glaube ich das nicht mehr. Ich glaube,
dass der Prophet im Unrecht war, als er sich und seine Ideen über kritisches
Denken gestellt hat. Ich glaube, dass der Prophet Mohammed Unrecht hatte, als
er die Frauen den Männern unterordnete.» Die Rednerin legte in aller Form ein
Glaubensbekenntnis ab, das Bekenntnis einer Konvertitin. Und wie im christlichen
Taufritus der Täufling bis heute den heidnischen Götzen abschwört, so
widersagte
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