Bahners, Patrick
Bild sagt, gehören zur Herausbildung von Parallelgesellschaften
immer zwei Seiten. Die einen bleiben oder ziehen zu. Die anderen ziehen weg,
aber auch nicht irgendwohin, sondern in bestimmte andere Viertel. Die einen
schotten sich angeblich ab. Die anderen können guten Gewissens versichern, sie
stünden weiterem Nachzug offen gegenüber und hießen alle willkommen, die sich
die Mieten leisten könnten. Hartmut Esser hat der deutschen Mittel- und
Oberschicht, die schon Grundschule und Kindergarten für ihre Kinder strategisch
wählt, in der «Zeit» eine beträchtliche Mitschuld an den Integrationsproblemen
gegeben. Eine solche Schuldzuweisung wird man aus dem Mund eines Politikers nie
hören, und das mag in einem freien Staat, der den Bürgern die
Lebensentscheidungen nicht abnimmt, so gut und richtig sein. Es ist dann aber
auch sachlich unrichtig und moralisch unzulässig, für die Probleme der an den
Problemschulen verbleibenden Schüler in erster Linie den Elternwillen
verantwortlich zu machen.
Religionsfreiheit unter Vorbehalt
Worauf will die Islamkritik hinaus? Soll die
Religionsfreiheit der Muslime eingeschränkt werden? Neda Kelek proklamiert
zwar ein Recht der Muslime «auf ihre Gebetsräume, ihre Moscheen», allerdings unter
dem Vorbehalt: «sofern diese freigehalten werden von allen Missbräuchen des
politischen Islam». Der Missbrauch, von dem die Gebetsräume gereinigt werden
sollen, erschöpft sich nicht in den antizionistischen oder christenhasserischen
Tiraden, deren Mitschnitte von Zeit zu Zeit die Öffentlichkeit zu Recht
erschrecken. Frau Kelek hat mehr im Sinn als eine Wiederbelebung des Kanzelparagraphen
im Strafgesetzbuch, der von 1871 bis 1953 Geistliche mit Haftstrafen bedrohte,
die «Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden
Weise zum Gegenstande einer Verkündigung oder Erörterung» machten. Nicht erst
an dem, was in einer Moschee gepredigt wird, erkennt man, ob in ihr der
politische Islam herrscht. Schon die übliche Sitzordnung, die Trennung nach Geschlechtern,
zementiert das System der Macht. «Solange die Moscheen nicht das
gleichberechtigte Miteinander pflegen, sondern hinter dem hijab, dem
Schleier, archaische und patriarchalische Strukturen befördern, solange es
nicht Orte sind, an denen Männer und Frauen gleiche Rechte haben und gleich
behandelt werden, sind solche Häuser demokratie- und integrationsfeindlich.»
Das müsste dann allerdings auch für die Synagogen mit Ausnahme der liberalen
gelten und erst recht für katholische Kirchen, an deren Altären keine
Priesterinnen das Messopfer feiern dürfen.
Ins Positive übersetzt, lautet die Bedingung der
Missbrauchsunterbindung, an die Neda Kelek die Freiheit zum Moscheebau knüpft,
dass Moscheen «der Pflege des spirituellen Glaubens dienen sollen». Es fällt
ins Auge, dass die spirituellen Bedürfnisse der Gläubigen nicht genügen sollen,
um althergebrachte Üblichkeiten der Gottesdienstfeier als innere Angelegenheit
der Glaubensgemeinschaft zu rechtfertigen, die vielleicht nur deren Angehörigen
schlüssig erscheinen, aber auch nur ihnen schlüssig erscheinen müssen. Die
Missbrauchskontrolle der aufgeklärten Gesellschaft greift durch auf Formen
und Inhalte der Verkündigung und des Gebets. Es ist undenkbar, für die Trennung
von Männern und Frauen während des Gottesdiensts einen spirituellen Sinn in
Anspruch zu nehmen, darin ausgedrückt sehen zu wollen, dass Gott die
Geschlechter unterschiedlich geschaffen und mutmaßlich Unterschiedliches mit
ihnen im Sinn habe - selbst wenn die Prediger sich verpflichten sollten, den
Gläubigen nicht zu befehlen, solche Zeichen von Geschlechterrollen auch nach
außen zu tragen, weil in der Welt der Ungläubigen der geistliche Sinn dieser
symbolischen Ordnung unverständlich sein müsste. Kopftücher nur in der
Moschee: Diese Reform wäre kein Signal der Trennung von bürgerlicher und
religiöser Sphäre, sondern würde den Schleier nur fester binden, der den
Patriarchalismus, dem in der Moschee gehuldigt wird, schützt.
Ihre Resonanz verdankt die Islamkritik zu guten Teilen
einer Verunsicherung gerade in den bürgerlichen Kreisen, in denen man die
eigene sozialmoralische Identität noch als christlich bestimmt. Die zivilreligiöse
Umdeutung der Traditionselemente des christlichen Staates hat man hingenommen,
zumal sie der innerchristlichen Ökumene diente - so bei der von
christdemokratischen Schulpolitikern vorangetriebenen Überleitung
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