Ball der Versuchung
waren weit, weit weg.
Freitag war normalerweise ein guter Tag, was den Unterricht anging, sogar die meisten der Professoren waren besser gelaunt.
An diesem Freitag jedoch nicht. Eine seltsame Anspannung lag in der Luft und selbst der Wind wurde immer frostiger. Der erste Professor, bei dem sie heute Unterricht hatte, war ausgeflippt, weil ein Handy geklingelt hatte, woraufhin er eine Studentin aus dem zweiten Jahr zum Weinen brachte und sie dann des Kurses verwies, nicht ohne ihr vorher eine Note zu geben, mit der sie glatt durchfiel. Claires zweite Stunde verlief auch nicht besser; der Assistent hatte Kopfschmerzen, möglicherweise einen Kater, und war höllisch schlecht gelaunt – zu schlecht, um Fragen zu beantworten oder das Tempo ein wenig herauszunehmen, mit dem er durch den Unterrichtsstoff preschte.
Das Gute an der dritten Stunde war, dass sie zuversichtlich war, in weniger als einer Stunde fertig zu sein. Professor Anderson hatte weithin verbreitet, dass heute vermutlich ein unangekündigter Test geschrieben werden sollte; man hätte höchstens, wenn man komplett im Koma lag, nicht mitgekriegt, dass man vorbereitet kommen sollte. Anderson gehörte zu den Professoren, die einem Chancen über Chancen gaben, aber der Test war Der Test , Punkt. Er ließ nur zwei Tests pro Jahr schreiben, und wenn man nicht beide schaffte, hatte man es vermasselt. Er hatte den Ruf, ein netter Typ zu sein, der viel lächelte, aber hatte noch nie erlaubt, dann man anderweitig punkten konnte, wenn man den Test nicht bestand oder fehlte.
Wer Geschichte als Hauptfach hatte, nannte seinen Unterricht auch gerne mal Andersonville, eine nicht besonders witzige Anspielung auf das Gefangenenlager im Amerikanischen Bürgerkrieg. Claire hatte wie verrückt ge lernt und war sich absolut sicher, dass sie in dem Test eine Eins schaffen konnte und noch Zeit übrig haben würde.
Da sie früh dran war, ging sie noch auf die Toilette, wobei sie ihren Rucksack vorsichtig gegen die Wand der Toilettenkabine lehnte. Sie ging noch einmal die Daten und Ereignisse in ihrem Kopf durch, als sie bei den Waschbecken ein leises, gedämpftes Lachen hörte. Etwas daran ließ sie frösteln – es war kein unschuldiges Lachen. Es hatte etwas Unheimliches an sich.
»Ich habe gehört, heute gibt es einen Test in Andersonville«, sagte eine Stimme. Eine vertraute Stimme. Es war Monica Morell. »Hey, sieht die Farbe gut aus?«
»Klasse«, sagte Gina und erfüllte damit ihre Aufgabe als Bestätigungsfreundin Nummer eins. »Ist das das neue Winterrot?«
»Ja, es soll schimmern. Schimmert es?«
»Oh, ja.«
Claire betätigte die Spülung, schnappte ihren Rucksack und machte sich auf eine Konfrontation gefasst. Sie versuchte, so zu tun, als würde es ihr überhaupt nichts ausmachen, dass Monica, Gina und Jennifer drei der vier Waschbecken im Vorraum besetzten. Oder dass außer ihnen kein Mensch da war.
Monica zog gerade ihren nuttigen roten Lippenstift nach und warf ihrem Spiegelbild Luftküsse zu. Claire schaute stur geradeaus. Nimm die Seife. Mach den Wasserhahn auf. Wasch...
»Hey, du Freak, du bist in Andersonville, oder?«
Claire nickte. Sie seifte sich die Hände ein, wusch sie ab und griff nach den Papierhandtüchern.
Jennifer schnappte sich ihren Rucksack und zog ihn außer Reichweite.
»Hey!« Claire griff nach ihren Sachen, aber Jennifer wich ihr aus. Und dann bekam Monica ihr Handgelenk zu fassen und ließ etwas Kaltes, Metallisches einrasten. Einen verrückten Augenblick lang dachte Claire: Sie hat unsere Armbänder ausgetauscht. Ich bin jetzt Olivers Eigentum...
Aber es war das kalte Metall von Handschellen und Monica beugte sich hinunter und befestigte das andere Ende unten am Metallpfosten der nächsten Toilettenkabine.
»Nun«, sie trat zurück und stemmte die Hände in die Hüften. »Ich glaube, du wirst bald herausfinden, wie brutal der kleine General sein kann, Claire. Aber mach dir keine Sorgen. Ich bin sicher, du bist so schlau, dass du diese Prüfungsantworten allein durch die Kraft deiner Gedanken oder so etwas eintragen kannst.«
Claire riss sinnlos an den Handschellen, obwohl sie wusste, dass das dumm war; das würde zu nichts führen. Sie trat gegen die Toilettenkabine. Sie war stabil genug, Generationen von College-Studenten zu überleben; ihre Frustration würde keinen Eindruck hinterlassen.
»Gib mir den Schlüssel!«, schrie sie. Monica ließ ihn vor ihrer Nase herumbaumeln - klein, silbern und unerreichbar.
»Diesen
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