Ballade der Liebe
meine Karte zu geben. Nach dem Auftritt seiner Tochter wurde er von Scharen ihrer Verehrer bestürmt.“
Flynn konnte sich kaum vorstellen, dass der Marquess sich durch eine schubsende Menge aufgeregter junger Männer drängelte, um einer Vauxhall-Sängerin seine Aufwartung zu machen.„Aber wie kann ich Ihnen behilflich sein?“
„Sie finden einen Weg, wie Sie an den Vater herankommen, und führen die Verhandlungen für mich.“ Er nickte zufrieden. „Sie sind der geborene Diplomat, eine Gabe, die mir, wie Sie wissen, vollständig fehlt.“
Nach Flynns Ansicht bestanden die Verhandlungen lediglich darin, eine stattliche Summe zu nennen, und die Dame würde dem Charme des Marquess erliegen, allerdings hütete er sich, diese Meinung zu äußern. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass er den Vermittler spielte, bisher war er jedoch immer erst nach Tanners ersten Schritten in Aktion getreten. Solche Gespräche unterschieden sich nur unwesentlich von Tanners geschäftlichen Verhandlungen. Flynn handelte die Konditionen aus, legte Termine fest und formulierte die Abschlussklausel. Und der Marquess frönte dem Vergnügen.
Die Orchesterklänge, die aus der Ferne zu den Arkaden herüberwehten, verstummten. Tanner zog seine goldene Taschenuhr. „Ich glaube, es ist Zeit für ihren Auftritt. Wir müssen uns beeilen.“
Flynn folgte seinem Dienstherrn, der mit langen Schritten der Rotunde zustrebte, an deren Stirnseite das Orchester auf einem Podium platziert war. Tanner drängte sich vor, um freien Blick auf die Bühne zu erhalten. Er war aufgeregt wie ein kleiner Junge vor dem Aufstieg eines Heißluftballons.
Die Musik setzte ein und spielte eine Melodie, die Flynn vertraut war, und dann trat Miss O’Keefe unter Applaus und Jubelrufen vor das Orchester und begann zu singen:
When, like the dawning day
Eileen Aroon
Love sends her early ray …
Ihre kristallklare Stimme schwang sich empor, erfüllte die laue Sommernacht, und das Publikum lauschte in andächtigem Schweigen. Flynn hob den Blick zur Bühne, und die Lichter der bunten Lampions, die das Podium bekränzten und in den Ästen der Bäume hingen, verschwammen vor seinen Augen. Er sah nur die schlanke Frauengestalt in einem dunkelroten Kleid, das in der leichten Brise flatterte.
Ihr Haar, dunkel wie der Nachthimmel, bildete einen dramatischen Kontrast zu ihrer hellen Haut, geheimnisvoll schimmernd wie Seide. Ihr Mund, im Gesang geöffnet, leuchtete rosig wie der Kelch einer Sommerrose.
Das also war Rose O’Keefe, Vauxhalls neuester Stern. Sie erschien ihm wie eine Traumgestalt, eine Märchenfee, die ihre schlanken hellen Arme ausbreitete, als wolle sie ihr Publikum umarmen.
Were she no longer true
Eileen Aroon
What would her lover do …
Flynn schluckte gegen den Knoten an, der ihm unvermutet die Kehle zuschnürte. Das irische Liebeslied „Eileen Aroon“, das die Sängerin mit einer leicht angedeuteten irischen Modulation vortrug, löste eine Flut von Gefühlen in ihm aus, wie er sie seit Jahren nicht verspürt hatte. Er kniff die Augen zusammen, und das Bild seiner Mutter stieg in ihm auf, die auf dem alten Pianoforte spielte, daneben stand sein Vater mit den Geschwistern. Er glaubte beinahe, den volltönenden Bariton seines Vaters zu hören, der sich harmonisch mit dem süßen Sopran seiner Schwester Kathleen vereinte. Und ihm war, als rieche er die feuchte Erde, die würzige Luft, das grüne Gras der Heimat.
Seit er vor zehn Jahren nach Oxford gegangen war, den Kopf voller ehrgeiziger Zukunftspläne, hatte er Irland nicht wiedergesehen. Und diese Verführerin mit ihrem Sirenengesang weckte nicht nur seine Sinnlichkeit, sondern auch eine schmerzliche Sehnsucht nach Abenden voller Lachen und Gesang im Kreise seiner Familie.
„Habe ich zu viel versprochen? Ist sie nicht fabelhaft?“ Tanner schlug ihm auf die Schulter.
Flynn blickte wieder zur Bühne. „Sie ist außergewöhnlich.“
Tanners unverhohlene Bewunderung für Rose O’Keefe spiegelte sich in seiner Miene. Flynn gab sich Mühe, seine Begeisterung weniger deutlich zu zeigen, obwohl seine Faszination mit jedem ihrer Lieder glühender brannte.
Mit ihrem Gesang rief diese junge Frau ihm alles in Erinnerung, was er in Irland zurückgelassen hatte. Plötzlich machte er sich Vorwürfe, die monatlichen Briefe seiner Mutter nicht öfter als dreimal im Jahr zu beantworten. Er sehnte sich schmerzlich danach, seine Eltern in die Arme zu schließen, mit seinen Brüdern Ringkämpfe auszutragen,
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