Ballard, James G.
Löwen – zwei Paare und ein älteres Männchen – wurden eben
gefüttert, und ihr Brüllen war ohrenbetäubend. Catherine Austen stand in dem
engen Gang zwischen den Käfigen und der Barriere, die zum Schutz der
Zoobesucher angebracht worden war. Ihre weiße Bluse und die hellen Reithosen
waren vor Schmutz grau und mit Blut und Schweiß befleckt, aber sie bewegte
sich, ohne die geringste Ermüdung zu zeigen und warf den Löwen aus einem großen
Eimer Fleisch vor die Schnauzen.
»Komm, Sarah, auf, auf! Du bist
langsam wie eine Kuh! Nein, Hektor, hier!« Am Ende des Käfigs, wo der einzelne
Löwe, ein blindes altes Männchen mit zerrupfter Mähne und vor Brüllen heiserer
Stimme, wie ein verrückt gewordener Bär von links nach rechts schwankte,
stopfte sie das Fleisch durch die Gitterstäbe direkt in seinen Rachen.
Während die Löwen ihre Portionen
verschlangen, ging Catherine nochmals den Käfig entlang und ließ den leeren
Eimer gegen die Gitterstäbe schlagen. Als sie Ransom hinter sich stehen sah,
winkte sie ihn zu sich heran und räumte dann die Käfige mit einem langstieligen
Rechen aus, wobei sie spielerisch gegen die Beine der Tiere stieß.
»Wer kommt denn da?« rief sie über
die Schulter. »Doch nicht etwa der Tierarzt?«
Ransom stellte seine
Instrumententasche auf die nächste Bank und ging zu Catherine hinüber. »Ihr
guter Freund Whitman hat mich mitgenommen. Der Tankwagen ist voll Wasser aus
Lomax' Schwimmbecken.«
Catherine zog den Rechen schwungvoll
aus dem Käfig. »Wunderbar. Lomax ist so unzuverlässig, daß ich erst jetzt
wirklich an sein Geschenk glaube. Sagen Sie Whitman, er soll es in den
Reservetank pumpen.«
Ransom ging näher an die Käfige heran
und spürte, daß sein Herz rascher schlug, als er die starken Tiere das blutige
Fleisch verschlingen sah. Catherine Austen schien ihre frühere Lethargie völlig
abgelegt zu haben.
»Ich freue mich, Sie hier zu sehen,
Doktor. Sind Sie gekommen, um mir zu helfen?«
Ransom nahm ihr den Rechen aus der
Hand und lehnte ihn gegen die Wand. »In gewisser Beziehung.«
Catherine sah zu Boden und runzelte
die Stirn, während sie auf das Stroh und die Knochensplitter zeigte. »Hier
sieht es fürchterlich aus, aber ich glaube trotzdem, daß Vater stolz auf mich
wäre.«
»Vielleicht. Wie haben Sie Barnes
dazu überredet, Sie hier zurückzulassen?«
»Er hat vor Jahren für Vater
gearbeitet. Whitman und ich haben ihn gemeinsam überzeugt, daß es besser wäre,
wenn wir beide noch etwas länger blieben und die Tiere nach und nach
einschläferten, damit keine Panik entstehen kann.«
»Haben Sie das vor?«
»Was? Nein, natürlich nicht. Ich
weiß, daß wir nicht hoffen können, sie alle am Leben zu erhalten, aber wir
wollen es mit den Säugetieren versuchen. Die Löwen werden bis zuletzt
aufgehoben.«
»Und dann?«
Catherine machte eine ungeduldige
Handbewegung, beherrschte sich aber noch. »Was wollen Sie damit sagen, Doktor?
Daran möchte ich gar nicht denken!«
»An Ihrer Stelle würde ich es aber
trotzdem tun.« Ransom legte ihr die Hand auf den Arm. »Seien Sie doch einen
Augenblick lang vernünftig, Catherine. Lomax hat Ihnen das Wasser bestimmt
nicht aus Mitleid mit den armen Tieren geschenkt – er will sie offenbar für
seine eigenen Zwecke mißbrauchen. Und Whitman ist meiner Meinung nach völlig
übergeschnappt. Wahrscheinlich braucht jeder Zoo Leute wie ihn, aber der Mann
ist in diesem Zustand ausgesprochen gemeingefährlich. Verlassen Sie den Zoo
lieber rechtzeitig, bevor Sie eines Morgens alle Käfige geöffnet vorfinden.«
Catherine schüttelte seine Hand ab.
»Lassen Sie den Unsinn, Doktor! Verstehen Sie denn noch immer nicht? Vielleicht
regnet es schon morgen, selbst wenn Ihnen dieser Gedanke schrecklich ist. Ich
habe nicht die Absicht, die Tiere im Stich zu lassen, und solange es noch
Futter und Wasser für sie gibt, kann ich sie auch nicht einschläfern.« Dann
fügte sie leiser hinzu: »Außerdem bezweifle ich, daß Whitman dabei ruhig
zusehen würde.«
Sie wandte sich ab und sah zu dem
blinden Löwen hinüber.
»Wahrscheinlich würde er Sie daran
hindern«, stimmte Ransom zu. »Denken Sie aber daran, daß hier andere
Verhältnisse als draußen herrschen – hier haben Sie noch immer Gitter zwischen
sich und den Tieren.«
»Eines Tages werden Sie eine
Überraschung erleben, Doktor«, sagte Catherine ruhig. »Wäre ich nur etwas
mutiger, könnte ich Ihnen zeigen, was ich meine.«
Ransom wollte eben zu einem
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