Baltasar Senner 03 - Busspredigt
hupend vertrieben. Bei zwei Kiosken machte er halt, kaufte Schokoriegel und hielt ein Schwätzchen mit den Verkäufern, doch auch sie konnten ihm nicht weiterhelfen.
Er wusste, dass es eine Schnapsidee war, einfach so durch die Stadt zu gehen, ohne zu wissen, wo und wann diese Jugendlichen anzutreffen waren. Doch jetzt war er schon einmal in Zwiesel und wollte die Zeit nutzen. Für heute standen keine anderen dringenden Termine mehr an. Nebenbei war es ein netter Spaziergang, der ihn in Seitenstraßen des Ortes führte, wo er noch nie gewesen war.
Schmucke Häuser wechselten mit trostlosen Fassaden vor sich hinbröckelnder Häuser, die für die jeweiligen Eigentümer offenbar nicht mehr interessant waren. Zum Teil war die frühere ländliche Struktur noch erkennbar, Anwesen, die aussahen wie ehemalige Bauernhäuser, Hinterhofgaragen, die einst Handwerksbetriebe beherbergten, leere Flächen, bei denen unklar war, ob früher dort ein Haus stand oder ob sie als Weide gedient hatten.
Doch wie auch immer er ging: Am Ende landete er an einem der beiden Flüsse Großer Regen oder Kleiner Regen, die sich mitten durch den Ort schlängelten. Diese Flüsse, die an mehreren Stellen wie zu groß geratene Bäche aussahen, teilten Zwiesel in mehrere ungleich große Tortenstücke. Baltasar schlug einen Weg am Ufer entlang ein. Bei der Angerstraße folgte er den Schildern zum Bahnhof von Zwiesel.
Einige Fahrgäste mit Rollkoffern warteten auf den Zug, die Angestellte eines Verkaufsstandes blätterte in einer Zeitschrift. Er fragte sie nach den Jugendlichen, sie kannte sie zwar, hatte sie jedoch schon ein paar Tage nicht mehr gesehen.
Über die Doktor-Schott-Straße wanderte er zum Platz mit der Glaspyramide. Dann nahm er den Weg zurück zum Fluss, über eine Fußgängerbrücke gelangte er zum Spielplatz, wo er sie beim letzten Mal getroffen hatte.
Jetzt war das Gelände verwaist.
In der Ferne sah er einige Spaziergänger. Baltasar setzte sich auf eine Bank. Vor ihm plätscherte das Wasser, Bäume und Grünflächen machten den Stadtpark idyllisch. Es war wie ein Bild, friedlich und harmonisch, und niemand würde vermuten, dass hier vor Kurzem ein Mord geschehen war.
Anton Graf. Was hatte er in Zwiesel gewollt? Gab es etwas, das sein Nachbar vor der Öffentlichkeit geheim halten wollte? Hatte es mit Frauen zu tun? Baltasar ließ die Gedanken sich treiben, lauschte der Strömung, beobachtete die Spaziergänger. Er stellte sich vor, er wäre ein buddhistischer Mönch und könnte durch Meditation und durch das Abstreifen der irdischen Bedürfnisse zu Weisheit und Erkenntnis gelangen und möglicherweise sogar das Rätsel um den Tod seines Freundes lösen. Doch die einzige Vision, die er hatte, war die Vision einer Leberkassemmel, frisch und saftig, so wie sie Metzger Hollerbach zubereitete.
Schließlich erhob er sich, vertrat sich die Beine und ging noch einmal zu dem Hirtenbrunnen, wo Graf ums Leben gekommen war. Er hoffte auf eine Eingebung beim Anblick des Tatortes, doch vergebens. Es blieb ein Ort, der zum Rasten einlud, an dem man sich entspannen konnte – ein Anker für die Seele.
Die Schreckensbilder existierten nur in seinem Kopf, weil er wusste, was genau an dieser Stelle im Park geschehen war.
Baltasar kehrte zurück zum Spielplatz und beschloss, noch ein wenig zu bleiben.
Eine Frau kam hinzu, einen kleinen Jungen an der Hand. Der Kleine stürmte den Sandkasten, ließ sich auf sein Hinterteil fallen und buddelte eine Grube. Ein älteres Ehepaar mit Einkaufstüten in der Hand überquerte den Platz. An der Jahnstraße joggte eine Frau entlang, aus der Ferne sah sie in ihrem rosafarbenen Trainingsanzug aus wie in Geschenkpapier eingepackt.
»Entschuldigung, darf ich Sie stören?«
Die Mutter des Kindes stand vor Baltasar. Er nickte und lud sie ein, sich neben ihn zu setzen.
»Sie werden sich nicht mehr an mich erinnern«, fuhr sie fort, »aber Sie haben mir neulich geholfen, als diese Jugendlichen mich angepöbelt haben.«
Er sah die Frau an. Sie war etwa Mitte 30, hatte braunes, kurz geschnittenes Haar und ein schmales Gesicht.
»Das war kein erfreuliches Zusammentreffen mit diesen jungen Menschen«, sagte er.
Baltasar stellte sich der Frau vor und erzählte, warum er nach Zwiesel gekommen war und dass der Mann, der im Stadtpark ermordet worden war, sein Freund und Nachbar gewesen war.
»Schrecklich, diese Tat.« Die Frau schüttelte sich. »So etwas bei uns in Zwiesel, schrecklich, an so was denkt doch niemand.
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