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Baltasar Senner 03 - Busspredigt

Baltasar Senner 03 - Busspredigt

Titel: Baltasar Senner 03 - Busspredigt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Schreiner
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dabei den Arm zu heben, so sah es aus, als wollte er etwas auf dem Altar segnen. Das eigentlich Wichtige war der nächste Schritt, nämlich mit einer eleganten Bewegung das Gebetbuch umzublättern und mit dem Finger die Stelle zu suchen, wo er steckengeblieben war. Er hob die Stimme und betete laut vor.
    Das Mädchen schien sich hinter ihrem Vordermann zu verstecken, ihr Gesicht war jetzt in der Menge nicht mehr auszumachen. Er musste nach der Beerdigung unbedingt mit ihr sprechen. Vielleicht konnte sie ihm erklären, was es mit der Auseinandersetzung im Park auf sich hatte, ausgerechnet am Tag des Mordes.
    Seine Predigt widmete Baltasar der Person Anton Graf. Er schilderte seinen Nachbarn als liebenswerten Menschen, so wie er ihn persönlich erlebt hatte, als freundlich und hilfsbereit, und er wies wie nebenbei darauf hin, dass Anton großzügig für die zerstörten Glocken gespendet hatte – jeder möge sich daran ein Beispiel nehmen. Er sprach von dem unergründlichen Willen Gottes, diesen Mann zu sich zu rufen, die Gläubigen ratlos zurücklassend. Er wählte Verse aus dem Alten Testament und zitierte Stellen, die von Rache, Gerechtigkeit und Vergebung handelten. Er wies darauf hin, dass die Menschen selbst für Gerechtigkeit sorgen müssten und nicht allein auf die Weisheit des Herrn bauen dürften.
    Von der Kanzel aus hatte er einen guten Überblick über seine Gemeinde. Ihm fiel auf, dass die Haare des Metzgers sich lichteten und dass ein Rentner die Augen geschlossen hatte. Sein Kopf war auf die Schulter seiner Nachbarin gesackt, die ihn mit einem Schubs wieder zurück in die Gegenwart brachte. Das Mädchen aus dem Stadtpark sah er nun auch wieder, sie wirkte irgendwie abwesend.
    Victoria Stowasser war nicht gekommen. Sie musste wohl den Leichenschmaus vorbereiten, vermutete Baltasar. Insgeheim hatte er gehofft, sie in der Kirche zu sehen, es gab ihm einen Stich, wenn er an sie dachte. Er nahm sich vor, sie so bald wie möglich wieder zu besuchen.
    *
    Das Grab war von Anton Grafs Haus aus zu sehen. Man hatte ein größeres Loch in die Erde gegraben, das für die Urne vorgesehen war. Darum herum drapiert lagen einige Blumensträuße und ein einziger Kranz, der von Baltasar kam. Alles in allem wirkte es ein wenig armselig, es schien fast so, als ob die Einsamkeit seinen Nachbarn auch nach seinem Tod verfolgte.
    Baltasar sprach ein Gebet und segnete die Urne, die Ministranten schwenkten den Weihrauchkessel, und in einer Prozession defilierten die Trauergäste an der Grabstelle vorbei. In den Gesichtern spiegelte sich Neugier oder auch nur geschickt verborgenes Desinteresse, niemand schien wirklich zu trauern, niemand weinte. Die meisten waren wohl in Gedanken bereits im Wirtshaus beim Leichenschmaus.
    Die Besucherschlange hatte sich fast aufgelöst, als drei Männer ans Grab herantraten. Baltasar hatte sie vorher nicht bemerkt, beim Gottesdienst waren sie nicht gewesen, sie mussten weiter weg gestanden und gewartet haben. Einer der Männer trug einen Trachtenhut. Er blieb vor der offenen Grube stehen und schlenzte mit dem Schuh etwas Erde in Richtung Urne, eine Geste, die Baltasar wegen ihrer Respektlosigkeit ärgerte. Der Fremde, er mochte Anfang 50 sein, war zur Seite getreten. Sein Begleiter, der eine Sonnenbrille trug, drängte sich nach vorne, spuckte auf die Erde und zischte etwas Unfreundliches, das wie »Hadalump, greisliger« klang. Der Dritte, mit Dreitagebart und halblangem Haar, das nicht recht zu seinem fortgeschrittenen Alter passte, zog etwas Glitzerndes aus seiner Jackentasche und warf es in die Grube. Waren das Glassplitter? Eine Hand behielt er in der Tasche, was seinem Auftritt eine gestelzte Lässigkeit verlieh.
    Baltasar wollte die Unbekannten zur Rede stellen, doch sie hatten ihm bereits den Rücken zugekehrt und gingen Richtung Ausgang.
    Auch das Mädchen aus Zwiesel konnte Baltasar nirgends mehr sehen, wahrscheinlich war sie direkt nach dem Gottesdienst heimgefahren.
    Lediglich die beiden Kriminalbeamten warteten auf ihn.
    »Eine berührende Predigt, Hochwürden«, sagte Wolfram Dix. »Und über mangelndes Publikum können Sie sich auch nicht beklagen.«
    »War wohl eher die Macht der Gewohnheit, die die Leute in die Kirche trieb«, sagte Mirwald. »So wie man sonntags Fußball schaut oder zum Frühschoppen geht, so besucht man Messen, ohne groß drüber nachzudenken.«
    »Das Gegenteil ist der Fall. Die Menschen haben sich vorher Gedanken gemacht. Und das tun sie weiter. Sie haben ihren

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