Baltasar Senner 03 - Busspredigt
Ich wollte danach zuerst gar nicht mehr in den Park, man stelle sich vor, am helllichten Tag wird bei uns jemand umgebracht. Aber dann habe ich mir gesagt, dass ich dann ja überhaupt nicht mehr aus dem Haus gehen dürfte.«
»Es ist unwahrscheinlich, dass der Täter hier nochmals zuschlägt.«
Kaum hatte Baltasar diese Worte ausgesprochen, war ihm klar, dass er die Frau nur beruhigen wollte. In Wirklichkeit hatte er keine Ahnung, ob der Mörder es auf Anton Graf abgesehen hatte oder ob es Zufall gewesen war. Wenn man es aber mit einem Verrückten, einem Psychopathen zu tun hatte, war es doch möglich, dass er sich an demselben Ort ein nächstes Opfer suchen würde.
»Für mich liegt der Spielplatz ideal«, fuhr die Frau fort, »wir wohnen nur ein paar Straßen weiter, und mein Bub liebt den Sandkasten und das Klettergerüst.« Sie winkte dem Kleinen zu, der mittlerweile einen Berg aufgetürmt hatte.
»Sind diese Jugendlichen oft hier?«, fragte Baltasar.
»Nein, Gott sei Dank nicht. Sonst hätte ich uns schon einen anderen Platz gesucht. Ich war jedenfalls sehr froh, dass Sie sich eingemischt haben, mir war schon ziemlich mulmig geworden. Noch mal vielen Dank dafür.«
»Wann sind Sie denen denn sonst schon begegnet?«
»Einmal vorher, aber da war es mehr aus der Distanz. Es war an dem Tag, an dem der Mann, Ihr Nachbar, ermordet wurde.«
Baltasar horchte auf. »Erzählen Sie.«
»Ich war mit meinem Sohn auf dem Weg hierher. Da hörte ich von dort drüben«, sie zeigte auf einen weiter weg liegenden Punkt auf dem Gehweg, »das Gegröle, es waren sechs, sieben Halbwüchsige, glaube ich, und ein Mädchen, ja, genau, an sie kann ich mich erinnern, sie war das einzige weibliche Wesen unter lauter Buben. Sie hatten einen Mann umzingelt.«
»Konnten Sie das Gesicht des Mannes sehen?«
»Nein, er stand mit dem Rücken zu mir. Außerdem waren sie alle ziemlich weit entfernt von mir, und wie Sie sich vielleicht vorstellen können, hatte ich keine Lust, näher heranzugehen. Jedenfalls debattierten sie mit dem Mann über etwas, und dann fingen sie an herumzubrüllen. Plötzlich stieß einer der Jugendlichen den Mann, so dass der rückwärts auf die Bank stürzte. Einer der Jungs versetzte ihm einen Schlag ins Gesicht.«
»Und dann?«
»Ich war total geschockt, wie Sie sich denken können, und kramte nach meinem Handy, als sie auf einmal von dem Mann abließen und Richtung Stadtplatz verschwanden. Der Mann stand auf und ging in die entgegengesetzte Richtung. Und ich machte mich mit meinem Kleinen schnellstens vom Acker.«
»Warum haben Sie denn die Polizei nicht verständigt?«
»Das wollte ich ja, aber so urplötzlich es begonnen hatte, so schnell war es dann wieder vorbei, und ich dachte mir, dass es wohl doch nicht so schlimm gewesen sein kann. Außerdem habe ich schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Als mir vor einem Jahr mein Fahrrad gestohlen wurde und ich Anzeige erstattete, musste ich mir von denen sogar noch Vorwürfe abholen, warum ich mein Rad nicht ordentlich abgesperrt hätte. Und das Zeugenprotokoll und das ganze Drumherum hat mich einen halben Tag Zeit gekostet, gebracht hat es nichts, bis heute hab ich mein Rad nicht wieder.«
»Aber am selben Tag des Mordes … Ist Ihnen nicht der Gedanke gekommen, dass die Information für die Beamten vielleicht wichtig sein könnte?«
Die Frau schaute ihn verdutzt an. »Aber nein, warum? Das hat doch nichts miteinander zu tun. Wie ich in der Zeitung gelesen habe, ist der Mann viel später umgekommen. Da waren die Jugendlichen ja längst weg.«
»Um wie viel Uhr haben Sie den Vorfall denn beobachtet?«
»Es muss gegen elf am Vormittag gewesen sein. Und in der Zeitung stand, dass die Tatzeit erst ungefähr um zwölf Uhr gewesen sein kann. Sie sehen, das ist viel später.«
»Dennoch, ich bitte Sie, sagen Sie mir Ihre Adresse, damit ich die Kriminalpolizei informieren kann. Vielleicht haben Sie recht, und da ist nichts dran. Doch andernfalls …«
Baltasar holte Papier und einen Stift heraus und notierte sich die Adresse der Frau. Dann schrieb er ihr auch seine Handynummer auf.
»Falls Ihnen noch etwas einfällt. Bei mir als Pfarrer bleibt es streng vertraulich.«
17
D ie Polizei hatte den Leichnam Anton Grafs freigegeben. Quirin Eder verfügte die Einäscherung seines Vaters und die Beisetzung der sterblichen Überreste auf dem Friedhof vor Ort.
Baltasar hatte die Einzelheiten der Beerdigung organisiert und den Gottesdienst auf den Mittwoch
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