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Baltasar Senner 03 - Busspredigt

Baltasar Senner 03 - Busspredigt

Titel: Baltasar Senner 03 - Busspredigt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Schreiner
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Bodenmais.
    Der Ort zerfiel in mehrere Bezirke: das Zentrum mit der Kirche Mariä Himmelfahrt am Marktplatz, der Kurpark mit den Geschäftsstraßen und dann eine Ansammlung von Hotels, Pensionen und Zimmervermietungen. Glas gab es zwar überall in den Geschäften, das Glaszentrum selber jedoch war eine »Erlebniswelt« außerhalb von Bodenmais, ein riesiges Areal, das dazu diente, Besucher stundenlang wie in einem Vergnügungspark zu unterhalten – und natürlich zum Geldausgeben zu animieren.
    Baltasar parkte sein Auto. Vor ihm stiegen Touristen aus einem Bus, ausgestattet mit Rucksäcken, Taschen und Digitalkameras in allen möglichen Größen.
    Baltasar ging vor bis zu einer Halle, die sich als ein weitläufiges Selbstbedienungsrestaurant entpuppte, ähnlich einer Betriebskantine, nur mit mehr Auswahl. Er überlegte kurz, ob er sich einen Germknödel mit Mohn und Vanillesoße gönnen sollte, dachte an die Kalorien, und ihm verging die Lust daran. Stattdessen wählte er eine Apfelschorle.
    Am Nebentisch spielten zwei Kinder U-Boot mit ihren Pommes Frites und der Tomatensoße, ihre Gesichter sahen wie blutverschmiert aus, und Baltasar musste augenblicklich an Grafs Leiche auf der Parkbank denken.
    Um hinauszugelangen, musste er durch einen Nippes-Laden – eine Schatzkammer für Kitsch, bis unter die Decke vollgestopft mit sinnigen und sinnlosen Kleinigkeiten aus Glas; Seepferdchen und Delfine in transparentem Blau tummelten sich auf einer Konsole, daneben standen Miniaturausgaben von Schwänen, Enten, Schweinen, Schnecken und Elefanten, eine Farborgie in allen Schattierungen des Regenbogens, angeblich alles handgefertigt, so stand es jedenfalls auf einem Verkaufsschild.
    Handgefertigt mochte schon stimmen, aber wohl kaum von Glasbläsern aus dem Bayerischen Wald, sondern vermutlich von Menschen aus Fabriken in Fernost. Genauso wie die Schnapskaraffen, Glücksamulette, Glasperlenketten und Buddhas, die ungefähr so viel Bayerisches ausstrahlten wie der chinesische Staatspräsident. Die Besucher stauten sich vor der Kasse, die Geldbörsen gezückt, Lächeln in den Gesichtern, als hätten sie soeben in einem Preisausschreiben gewonnen.
    Draußen atmete Baltasar die würzige Luft ein, Glasskulpturen begrenzten den Weg zu einem noch größeren Flachbau, einem Glaskaufhaus, wie er nach dem Betreten feststellte. Damit verglichen wirkte der vorherige Laden wie ein Kiosk.
    Er schlenderte durch die Reihen und ließ sich betören durch das Schimmern und Glitzern, das raffiniert angeordnete Lichtstrahler hervorzauberten.
    Eine Abteilung bot Trinkgläser in allen Formen, glatt oder geschliffen, mit Goldrand oder geätzten Bildern. Auf einer Verkaufsinsel wurden derartig viele Bierkrüge präsentiert, als gelte es, die sechs Bierzelte des Karpfhamer Volksfestes auszurüsten.
    Dabei legten viele Bayerwälder Wert auf den Gerstensaft einer bestimmten Brauerei – ob obergärig oder untergärig, ob goldgelb oder naturtrüb, ob hopfig oder süßlich. Jede Variante hatte ihre Liebhaber, die ihr Getränk genau so verteidigten wie Fußballfans ihren Verein gegenüber der Konkurrenz. Was mit daran liegen mochte, dass die Zahl der Bierbrauer über die Jahrhunderte drastisch geschrumpft war. Früher hatte jedes Dorf und jedes Kloster seine eigene Sudstätte, heute gab es in der ganzen Region noch etwa eine Handvoll. Dabei war Bier in der Geschichte des Bayerischen Waldes seit jeher ein idealer und kostengünstiger Durstlöscher, neben dem Wasser. Beim Holzfällen oder bei der Ernte auf dem Feld erhielten die Arbeiter einen Krug Leichtbier als Tagesration, was sich positiv auf ihre Gemütslage auswirkte. Heute trank man im Bayerischen Wald aus anderen Gründen, aber dafür mit mehr Vergnügen, und sorgte so dafür, dass Bier unangefochten das alkoholische Getränk Nummer eins blieb.
    Baltasar bewunderte die Krüge aus Kristall, schwer wie Ziegel, glattwandig oder mit Schliff, mit Motiven von Jagdszenen, Berglandschaften oder idyllischen Bauernhäusern, selbst der ewige röhrende Hirsch, inzwischen meistens so tot wie das Mammut, feierte hier seine Auferstehung.
    In einer Nische lagen grüne Objekte, die seine Aufmerksamkeit weckten. Sie sahen auf den ersten Blick aus wie Abfall, scharfkantige Stücke aus durchscheinenden Glas, es gab Versionen im Format von Felsbrocken, andere waren langgestreckt und gerundet. Baltasar holte die Fotos von der Mordwaffe heraus, und sein Puls schoss hoch. Die Teile glichen der Glasscherbe auf den Fotos,

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