Baltasar Senner 03 - Busspredigt
produziert.« Der Mann gab Baltasar die Aufnahmen zurück. »Schade, dass Sie kein Original haben. Dann könnte ich es Ihnen genau sagen. Was interessiert Sie an dem Stück?«
»Es ist eine Erinnerung an einen alten Freund.«
»Ich wüsste einen wirklichen Fachmann für Ihre Fragen. Wenn Sie warten wollen? In zehn Minuten beginnt Louis Manrique mit seinem Unterricht. Er ist Glaskünstler. Fragen Sie ihn.«
Baltasar setzte sich in eine Ecke.
Eine Viertelstunde später betrat ein Mann den Raum, der ganz in Schwarz gekleidet war. Seine halblangen dunklen Haare mit silbernen Strähnen hatte er nachlässig hinters Ohr geklemmt, und er betrachtete seine Umgebung über den Rand einer Halbbrille hinweg.
Baltasar fragte sich, woher er auch diesen Mann kannte, er hatte ihn schon einmal gesehen, es konnte noch nicht lange her sein, doch es wollte Baltasar einfach nicht einfallen, wo.
Eine Traube von Schülern hatte sich um Louis Manrique versammelt.
Baltasar konnte Marlies Angerer, das Mädchen aus der Clique, nicht unter ihnen entdecken.
Der Meister erklärte die Aufgabe für heute und gab Anweisungen. Bald war der Raum erfüllt mit Lärm von Maschinen, Sägen und der Entlüftungsanlage.
Franz Kehrmann redete mit dem Künstler und zeigte auf Baltasar.
Louis Manrique kam zu ihm, machte eine übertrieben theatralische Verbeugung und fragte: »Womit kann ich Ihnen dienen, mein Guter?«
Baltasar hatte einen französischen Akzent erwartet, stattdessen waren die Worte bayerisch eingefärbt. Er stellte sich vor.
»Monsieur Manrique, ich danke Ihnen, dass Sie sich Zeit nehmen. Welchen Ursprung hat Ihr Name, wenn ich fragen darf?«
»Lassen Sie den Monsieur weg, mein Guter. Ich bin hier in der Gegend geboren, in Spiegelau. Habe lange in Paris gearbeitet. Jetzt hat es mich wieder zurück in die alte Heimat verschlagen.«
Der Künstler sah Baltasar mit einem seltsam abschätzenden Blick an.
»Sie arbeiten hauptberuflich an der Schule?«
»Oh, là, là, wo denken Sie hin? Mein Leben gehört der Kunst. Ich habe mich einer Mission verschrieben.«
Baltasar runzelte die Stirn. Jetzt fiel ihm plötzlich wieder ein, warum ihm der Mann bekannt vorkam: Er war einer der drei Besucher, die sich am Grab von Anton Graf so respektlos benommen hatten. Der Dreitagebart mit den grauen Stoppeln.
Was hatte dieser Manrique mit seinem Nachbarn zu tun?
Baltasar fragte sich, ob Franz Kehrmann der Zweite im Bunde und wer dann der Dritte gewesen war.
Manrique drehte sich eine Zigarette und steckte sie an einem Bunsenbrenner an. Er blies den Rauch in die Luft. Wieder dieser hochnäsige Blick.
»Meine Mission ist es, das Material Glas, Urmasse unserer Kultur, zu neuen Höhen zu führen, es spirituell zu durchdringen. Sehen Sie, mein Guter, Malerei, Bildhauerei, Fotografie – alles mündet letztlich in den ultimativen Werkstoff, das Glas, wo sich alles vereinigt und auf eine höhere Ebene gehoben wird. Dazu will ich meinen bescheidenen Beitrag leisten und die Kunst einen Schritt weiterbringen. Eine Lebensaufgabe, mein Guter, verstehen Sie?«
Er inhalierte einen tiefen Zug und blies langsam den Rauch aus.
»Darf ich fragen, was Sie von Beruf sind?«
Baltasar sagte es ihm.
»Na bitte, da sehen Sie’s, denken Sie nur an die eindrucksvollen Kirchenfenster, die Künstler der früheren Jahrhunderte aus Glas geschaffen haben. Das ist Meditation in Farbe und Form. Was wären die Gotteshäuser ohne diese wunderbaren Inspirationen? Nur Glas macht das möglich.«
»Waren Sie vor Kurzem in einer Kirche? Haben Sie eine Messe besucht? Oder eine Beerdigung?«
»Ich baue mir eine Kathedrale im Kopf, mein Glaube ist die Kunst. An dieser Art von Schöpfung mag auch der liebe Gott seinen Anteil haben. Wer weiß.«
Baltasar konnte nicht einschätzen, ob Manrique ihn ebenfalls erkannt hatte. Auf dem Friedhof waren sie nur wenige Meter voneinander entfernt gestanden. Falls der Mann ihn erkannte, konnte er gut schauspielern. Seinen Fragen wich er jedenfalls aus.
»Ihre Schüler können froh sein, von einem solchen Experten unterrichtet zu werden.«
»Ich gebe mein Bestes, glauben Sie mir. Die Schule ist eine willkommene Abwechslung zu meiner Arbeit im Atelier. Und wenn ich der jungen Generation wenigstens ein Körnchen meiner Inspirationen weitergeben kann, ist es schon ein Erfolg.«
»Mir wurde gesagt, Sie könnten mir mehr über dieses Objekt hier sagen.«
Baltasar legte die Fotos auf den Tisch.
Louis Manrique sah sie kurz an, dann wischte er die
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