Baltasar Senner 03 - Busspredigt
Aufnahmen mit einem Schwung vom Tisch. »Das ist Schund! Ich will mir solchen Schund nicht anschauen!« Seine Stimme war lauter geworden. »Woher haben Sie das?«
»Einem guten Freund gehörte das abgebildete Objekt. Er ist leider verstorben. Ich würde gerne so ein Stück als Andenken haben.« Wieder diese Lüge, aber Baltasar wollte vor Fremden nicht die Wahrheit offenbaren. Oder kannte Manrique in Wirklichkeit das Stück, so wie er in Wahrheit Anton Graf kannte, jedenfalls höchstwahrscheinlich?
»Ich kann Ihnen etwas aus meiner Kollektion zeigen. Da sehen Sie Qualität, und ich kann Ihnen etwas zum Sonderpreis überlassen, vorausgesetzt, Sie brauchen keine Quittung. Aber das …«, er wies auf die Fotos, die Baltasar wieder aufgehoben hatte, »… das ist unterstes Niveau. Abfall. Schund eben! Darüber mag ich mich gar nicht äußern.«
»Ich verstehe Ihre Ablehnung, Herr Manrique«, sagte Baltasar, obwohl er selbstverständlich überhaupt nichts verstand. »Verzeihen Sie, ich bin nur ein Laie, der eine Auskunft sucht. Was genau ist in Ihren Augen so verabscheuungswürdig?«
»Sehen Sie das nicht? Die ganze Machart, die Ausführung, das ist Pseudo… das ist … Mir fehlen die Worte.«
»Heißt das, Sie kennen das Objekt auf dem Foto oder den Produzenten?«
»Dieser … Dieser Zapfen stammt sicher von jemandem hier aus der Schule. Denn die Tönung des Glases weist auf eine Sonderfarbe hin, die sehr selten und teuer ist und die hier bei uns gelegentlich verwendet wird. Eine Schande, sie für so was zu verschwenden.«
Die Worte quollen aus ihm hervor, als müsste er gleich erbrechen.
»Und der Künstler? Wer hat das hergestellt?«
»Was erlauben Sie sich, in diesem Zusammenhang von Künstler zu reden?«, donnerte Manrique. »Da war ein Pfuscher am Werk. Ich kenne ihn nicht, ich wünschte nur, er hätte sich diesen Zapfen in den A…! Aber lassen wir das, es ist unter meiner Würde. Ein armseliger Versuch von jemandem, sich als Künstler aufzuspielen. Sie haben mir den Tag vergällt. Auf Wiedersehen!«
Manrique drehte sich um und ging zu seinen Schülern.
Baltasar verließ den Raum und überlegte, warum Manrique sich dermaßen über das auf den Fotos abgebildete Glasobjekt aufgeregt hatte. Es gab weiß Gott Hässlicheres, wenn er nur an seinen Besuch im Glassupermarkt in Bodenmais dachte …
Sein nächster Plan war nun, mit Marlies Angerer zu sprechen, die angeblich Schülerin hier in der Glasfachschule sein sollte, vor allem, nachdem sie auch auf der Beerdigung von Anton Graf aufgetaucht war. Er beschloss, sich in der Verwaltung nach ihr zu erkundigen, und suchte die Gänge im Erdgeschoss ab, bis er auf eine Tür mit der Aufschrift »Sekretariat« stieß. Er klopfte und trat ein, obwohl niemand geantwortet hatte.
Das Zimmer war leer, der Schreibtisch verwaist. In einem Regal stapelten sich Aktenordner. Das Fenster gab den Blick frei in einen Hinterhof, und eine Seitentür stand offen, die zu einem weiteren Büro führte.
»Hallo? Ist da jemand?« Baltasar war unschlüssig, was er tun sollte. Aus dem Nebenzimmer vernahm er ein Geräusch.
»Einen Moment bitte«, sagte da jemand.
Eine tiefe Stimme. Nach einiger Zeit kam ein Mann mittleren Alters heraus. Er trug einen Anzug, der oberste Hemdknopf war offen, die Krawatte verrutscht. Auffällig war seine Brille mit blauem Gestell und verschnörkelten Bügeln.
»Entschuldigen Sie, meine Sekretärin ist gerade nicht da. Ich bin Rufus Feuerlein, der Schulleiter. Was kann ich für Sie tun?«
»Guten Tag. Mein Name ist Senner, Baltasar Senner. Ich suche eine Schülerin von Ihnen, sie heißt Marlies Angerer.«
»Wir haben viele Schüler bei uns im Haus. Ist sie auf der Technikerschule, der Berufsfachschule oder Berufsschule? Das finden Sie hier alles unter einem Dach.«
»Das weiß ich ehrlich gesagt nicht.«
Auf einmal fühlte sich Baltasar wie in einem schlechten Traum. Dieser Mann, dieser Schulleiter – wenn er ihn sich mit einer Sonnenbrille vorstellte, konnte er der dritte unbekannte Besucher auf Antons Beerdigung gewesen sein? Baltasar war sich in nichts mehr sicher. In seinem Kopf begann sich alles zu drehen. Welches Interesse sollten all die Menschen hier in der Schule an seinem Nachbarn gehabt haben? Und warum sprach keiner offen darüber? Welchen Grund gab es, daraus ein Geheimnis zu machen?
»Darf ich fragen, um was es geht? Es ist gerade Unterrichtszeit.«
»Nun, wissen Sie, ich bin Pfarrer von Beruf, und Marlies war neulich bei der
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