Baltasar Senner 03 - Busspredigt
Beerdigung eines Freundes. Ich glaube, nach dem Schock braucht sie spirituellen Beistand. Deshalb möchte ich gerne mit ihr reden.«
Baltasar hoffte, der Schulleiter würde genauer nachfragen, damit er ihn auch auf seine Anwesenheit an Antons Grab ansprechen konnte.
»Ein Todesfall? Das wusste ich nicht. So was ist immer schrecklich. Ich will sehen, was ich tun kann.«
Baltasar fragte sich kurz, ob er nachbohren sollte, doch wenn die Wahrheit nicht von selbst kam, würde es wenig nützen. Rufus Feuerlein musste der Unbekannte vom Friedhof sein.
Feuerlein setzte sich an den Computer seiner Sekretärin.
»Angerer, sagten Sie? Marlies Angerer?«
Namenslisten flimmerten über den Bildschirm.
»Da haben wir sie ja schon. Moment, ich sehe im Stundenplan nach.« Er tippte einige Befehle ein. »Sie müsste jetzt im Klassenzimmer 201 zu finden sein, gleich die Treppe hoch und dann rechts im Gang.«
Baltasar bedankte sich.
»Ich habe schon Ihre Werkstatt bewundern dürfen. Eine beeindruckende Ausstattung haben Sie hier.«
»Dann haben Sie sicher auch Herrn Kehrmann kennengelernt.«
»Und Herrn Manrique.«
»Ja, ja, unser Künstler.« Rufus Feuerlein hatte den Tonfall gewechselt. »Wir wissen, was wir an ihm haben. Er ist, wie soll ich sagen, eine ganz besondere Persönlichkeit.«
»Ich finde es bemerkenswert, dass bei Ihnen solche Fachleute unterrichten«, sagte Baltasar.
»Wir müssen den Schülern schon was bieten. Das Glashandwerk ist eher rückläufig. Sie brauchen sich nur zu vergegenwärtigen, wie viele Glashütten in den vergangenen Jahrzehnten im Bayerischen Wald geschlossen haben. Und in der industriellen Glasproduktion sieht es auch nicht besser aus.« Er klang wehmütig. »Deshalb bin ich froh um jeden, der noch einen solchen Beruf erlernen und damit die jahrhundertealte Tradition bei uns in der Region aufrechterhalten will. Und kreative Lehrende motivieren den Nachwuchs.«
»Ich finde es lobenswert, wenn sich jemand neben seinem Hauptberuf dafür Zeit nimmt.«
»Louis Manrique ist nicht der einzige Künstler, den wir engagieren. Es gibt noch zwei andere. Für sie liegt der Reiz darin, mit jungen Menschen zu arbeiten, statt allein in ihren Ateliers zu sitzen. Und das Nebeneinkommen ist natürlich auch nicht zu verachten. Schließlich verkaufen die Künstler nicht jeden Tag ihre Werke. Man muss bloß darauf achten, dass diese Herren nicht aneinandergeraten. Dann gibt es Hahnenkämpfe. Sie können sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, wie eitel Künstler sein können! Ein jeder von ihnen eine Primadonna, jeder glaubt, ihm allein gebührt die Krone.« Er schüttelte den Kopf. »Aber was rede ich. Sie wollten ja zu unserer Schülerin. Am besten warten Sie vor dem Klassenraum, in zehn Minuten ist die Stunde zu Ende.«
21
B altasar ging den Gang auf und ab. Ein Gong ertönte, die Tür wurde aufgerissen, und eine Horde Jugendlicher drängte heraus.
Er hielt Ausschau nach Marlies Angerer, doch er konnte sie nirgends entdecken.
Jemand sprach ihn an: »Suchen Sie jemanden?«
»Ah, sind Sie der Lehrer?«
Der Mann nickte.
»Ich würde gerne mit Marlies Angerer sprechen.«
»Die ist gerade an Ihnen vorbei, das Mädchen mit der roten Jacke dort vorne.« Er deutete in Richtung Treppe.
»Danke.«
Baltasar beschleunigte seinen Schritt und rief ihren Namen: »Marlies!«
Eine junge Frau drehte sich um, das Haar kurz geschnitten. Es war Marlies Angerer. Er hätte sie fast nicht wiedererkannt: Sie war ungeschminkt, ihre Haare waren glatt gebürstet. In Jacke und Jeans war sie viel unauffälliger gekleidet, nur der Piercingschmuck in Nase und Lippe erinnerte an die Marlies Angerer aus dem Stadtpark.
Sie blieb stehen und wartete, bis er näher gekommen war.
»Guten Tag, Frau Angerer. Erkennen Sie mich?«
Marlies sah ihn an und schüttelte den Kopf. Dann vollzog sich jedoch eine Änderung in ihrem Gesicht, ihre Augen weiteten sich. »Lassen Sie mich, Herr Pfarrer.« Der Ton war schroff. Sie wandte sich ab und wollte gehen.
Baltasar hielt sie am Ärmel fest. »Warten Sie, bitte, Frau Angerer. Ich würde gerne mit Ihnen reden, es ist wirklich wichtig.«
Sie riss sich los.
»Aber ich will nicht mit Ihnen reden. Gehen Sie!«
Sie beschleunigte ihre Schritte, zwängte sich durch einen Pulk von Schülern und stürmte die Treppe hinunter. Baltasar versuchte, ihr zu folgen. Er mühte sich durch die Jugendlichen, die überhaupt nicht daran dachten, ihm Platz zu machen. Als er im Erdgeschoss angekommen war, war
Weitere Kostenlose Bücher