Baltasar Senner 03 - Busspredigt
heruntergekommenen Geschäftshauses in einer Zweizimmerwohnung, deren auffälligstes Merkmal die Enge war. Vielleicht lag es an den Möbeln, die den Raum kleiner machten und kaum Platz zwischen Tisch, Stühlen und Stehlampe ließen. Vielleicht lag es auch an den dunklen Tapeten oder an den üppigen Grünpflanzen auf den Fensterbänken, die Licht schluckten.
»Quirin, mein Lieber, schön, dass du kommst.« Sie drückte ihren Sohn an sich.
»Du weißt doch, ich habe immer so viel zu tun.« Er löste sich aus der Umarmung. »Ich habe Herrn Senner mitgebracht. Er würde sich gerne mit dir über Anton unterhalten. Ich muss leider sofort wieder los. Bis bald!«
Charlotte Eder hatte Tee in einer Isolierkanne vorbereitet. »Oder wollen Sie Kaffee, Hochwürden? Ich kann einen machen.«
»Danke, Tee ist genau das Richtige.« Er nahm die Tasse entgegen. »Frau Eder, wir hatten uns direkt nach der Beerdigung gesehen. Sie waren auf Anton Graf gar nicht gut zu sprechen.«
»Wundert Sie das, nach allem, was mir dieser Mann angetan hat?«
»Genau das fällt mir schwer zu verstehen. Ich kannte Anton als einen netten, hilfsbereiten und sympathischen Menschen.«
»An der Oberfläche, ja. Doch wer kann schon in einen Menschen hineinschauen, Hochwürden?«
»Sie meinen, er war in Wirklichkeit anders, als er sich gab? Sie müssen viele schlimme Erfahrungen gemacht haben.«
»Ich weiß gar nicht, wo ich da anfangen soll.«
»Wie haben Sie Anton eigentlich kennengelernt?«
»Ich war Sekretärin in seiner Glasfabrik. Er wurde irgendwann auf mich aufmerksam und hat mich mehrmals für Aufträge in sein Büro gebeten, um Briefe zu verfassen, Angebote aufzusetzen und so weiter. Als es eines Abends später wurde, hat er mich zum Essen eingeladen. So fing es an. Und es ging weiter. Anton sagte, dass er mit mir neu anfangen wollte, dass er mich liebte, dass er mich heiraten und für uns beide ein neues Zuhause suchen wollte. Und ich habe ihm geglaubt, mein Gott, wie naiv ich damals war! Aber ich war jung und glaubte noch an das Gute im Menschen.«
»Wussten Ihre Kollegen von Ihrer Beziehung?«
»Anton wollte es vorerst geheim halten, er fand, es sähe komisch aus, wenn der Chef mit einer Angestellten … er hat mich deswegen gedrängt, meinen Job ganz aufzugeben – was ich später auch getan habe.«
»Lässt sich eine solche Beziehung in einer Firma überhaupt geheim halten?« Baltasar nahm einen Schluck Tee.
»Nein. Aber das ist mir erst später klargeworden. Damals war ich im siebten Himmel. Wir waren sogar einmal zusammen im Urlaub, mit dem Auto am Gardasee.«
»Was ist dann passiert?«
»Ich wurde schwanger. Damit fing das Unglück an. Anton unterstellte mir, ich hätte nicht aufgepasst, ich sei absichtlich schwanger geworden, ich hätte vorher mit ihm darüber sprechen sollen, wir hätten gemeinsam überlegen müssen, ob wir Nachwuchs wollten oder nicht, außerdem sei es viel zu früh dafür. Wir begannen zu streiten und stritten immer öfter. Als Quirin geboren wurde, war Anton auf einer Dienstreise. Ins Krankenhaus kam er auch danach nicht, er wollte das Baby gar nicht sehen.«
»Hat er denn die Vaterschaft anerkannt?«
»Ja, das schon. Aber er hat von Beginn an bis zum Schluss auf den Cent genau so viel Unterhalt gezahlt, wie er vom Gesetz her musste. Jedenfalls war unsere Beziehung beendet, seit Quirin auf der Welt war. Er hätte sich hintergangen gefühlt, sagte er, und seine Liebe wäre erloschen. In Wirklichkeit hatte er wohl längst eine andere Frau, wie mir meine Arbeitskollegen berichtet haben, und sie wird nicht die letzte gewesen sein. Anscheinend hatte er nach mir immer nur kurze Beziehungen. Und geheiratet hat er ja auch nie. Mich hat die Trennung aus der Bahn geworfen, und ich bin in ein tiefes Loch gefallen. Sie können sich vielleicht vorstellen, eine ledige Mutter ohne Job, fast nichts auf der hohen Kante, wir mussten uns durchbeißen all die Jahre, das Geld reichte gerade so eben. Ich war froh, als Quirin endlich sein eigenes Geld verdiente. Wenn ich mir vorstelle, wie mein Leben hätte verlaufen können, packt mich noch immer die Wut, auf Anton, aber auch auf mich selber.«
»Hat Quirin sich nach seinem Vater erkundigt? Hatte er überhaupt Kontakt mit ihm?«
»Ich glaube schon, dass er darunter gelitten hat, ohne Vater aufzuwachsen, obwohl er sich nie darüber beklagt hat. Ich habe ihm erst viel später erzählt, wie das mit Anton wirklich war. Als er klein war, habe ich ihm erzählt, sein Vater lebe
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