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Baltasar Senner 03 - Busspredigt

Baltasar Senner 03 - Busspredigt

Titel: Baltasar Senner 03 - Busspredigt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Schreiner
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langer, aus rohen Brettern gezimmerter Tisch beherrschte den Vorraum der Werkstatt. Auf dem Tisch standen Glasflaschen, seltsam geformte Eisenwerkzeuge und etliche Zeichnungen mit Entwürfen von Vasen. Die Wände waren mit Stahlregalen zugestellt und ohne erkennbare Ordnung vollgeräumt mit Gießformen, Säcken unbestimmten Inhalts und Glasobjekten, deren Zweck sich nicht auf den ersten Blick erschloss. Aus dem zweiten Raum kam ein lautes Zischen. Heißer Dampf quoll hervor.
    »Hallo? Herr Manrique? Sind Sie da?«
    »Was fragen Sie? Ich arbeite gerade! Kommen Sie nur rein!«, hörte Baltasar durch die Nebelwand.
    Er ging aufs Geratewohl hindurch und landete in Manriques Glasgießerei. Sie war viel kleiner als die in der Glasfachschule. Die Tür zum Schmelzofen war geöffnet, und in der rotorangefarbenen Glut steckte etwas, das wie ein Blasrohr aussah.
    Louis Manrique stand in Latzhose und T-Shirt da, das Haar als Zopf zusammengebunden.
    »Jetzt erkenne ich Sie erst! Sie sind der Pfarrer, der Nachbar von Anton Graf, nicht wahr? Wir hatten doch schon das Vergnügen miteinander. Was wollen Sie denn schon wieder von mir? Bestimmt nicht eines meiner Werke kaufen, oder?«
    »Ich war in der Gegend, und da wollte ich gerne noch mal bei Ihnen vorbeischauen. Bei unserem letzten Zusammentreffen hatten Sie wenig Zeit.«
    »Jetzt noch weniger. Sie sehen ja, dass ich arbeite.«
    »Es dauert nicht lange. Sie können währenddessen ruhig weiterarbeiten. Ich gehe Ihnen zur Hand, falls Bedarf ist.«
    »Ich komme zwar gut alleine zurecht, aber Sie können mir auch helfen.« Er zeigte in eine Ecke. »Dort ist ein Eimer, bitte mit Wasser füllen und mir bringen.«
    Baltasar tat, was ihm angeschafft wurde.
    »Es geht um die Fotos, die ich Ihnen gezeigt habe, um den gläsernen Eiszapfen, Sie wissen schon. Mit diesem Objekt wurde Anton Graf ermordet.«
    »Tatsächlich? Wer sagt das?«
    »Die Polizei. Als ich Sie letztes Mal gefragt habe, ob Sie dieses Objekt kennen, sagten Sie nein.«
    »Mag sein, ich kann mich nicht mehr erinnern.«
    »Hier sind die Fotos.« Baltasar kramte sie heraus und zeigte sie her. »Erkennen Sie jetzt das Objekt wieder?«
    Manrique betrachtete die Aufnahmen kurz, und noch ehe Baltasar eingreifen konnte, warf er sie ins Feuer. Sie verglühten auf der Stelle.
    »Was tun Sie da? Sind Sie verrückt?«
    Baltasar geriet in Rage. Was erlaubte sich dieser Mensch?
    »Schund, Schund, Schund! Niemand braucht so was. Die Skulptur war leider missraten.«
    Manrique regulierte die Temperatur des Ofens.
    »In der Schule wurde mir gesagt, dieser Eiszapfen sei Ihr Werk, Ihr Beitrag zu der Aufgabe ›Winterimpressionen‹, die Sie den Schülern gestellt haben. Ihr Monogramm LM war auf dem Boden der Skulptur eingeritzt. Sagen Sie jetzt nicht, Sie würden Ihre eigenen Kunstwerke nicht wiedererkennen.«
    »Kann schon sein, dass der Eiszapfen von mir ist«, sagte Manrique. »Na und? Künstler wie ich experimentieren immer mit neuen Ideen. Ich suche ständig nach dem idealen Ausdruck für meine inneren Bilder, nach der passenden Form für meine Visionen. Nicht alles gelingt mir, so wie auch Picasso nicht alles gelungen ist. Missratene Experimente sind keine Kunst, ich erkenne sie nicht als meine Werke an, sie sind von mir nicht autorisiert, sie gehören vernichtet. Deshalb kann ich mit Fug und Recht sagen: Das ist kein Objekt von mir.«
    »Doch der Eiszapfen wurde nicht zerstört, sondern in der so genannten Gruft in der Schule aufbewahrt.«
    »Ein Verbrechen! Dieses Stück dürfte nicht mehr existieren. Ich habe seitdem so viel vollkommenere Werke geschaffen. Sie sehen es ja, auf diesem Objekt liegt ein Fluch, es wurde für eine Bluttat verwendet. Wäre es vernichtet worden, hätte es auch nicht als Mordinstrument dienen können.«
    »Warum haben Sie sich ein Pseudonym zugelegt, wenn Sie so großes Vertrauen in Ihre künstlerischen Fähigkeiten haben? Warum stehen Sie nicht zu dem Ort, an dem Sie leben, sondern denken sich Wohnsitze aus wie etwa Paris? Warum haben Sie das nötig?«
    »Sie haben leicht reden, Hochwürden. Sie bekommen Ihr regelmäßiges Gehalt, ob Sie nun etwas arbeiten oder nicht. Ich hingegen verdiene nur durch den Verkauf meiner Werke. Davon muss ich einen erheblichen Teil für mein Alter zurücklegen. Insbesondere für Touristen jedoch klingt ein französischer Name internationaler. Damit verbindet man eher einen Künstler als mit dem Namen Hannes Helfer. Für einen französischen Künstler ist man auch eher bereit,

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