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Bamberger Verrat

Bamberger Verrat

Titel: Bamberger Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
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ihrem Antwortbrief: Die meisten würden vermuten, dass er »in den Westen rübergemacht« habe, obwohl sie versuche, falsche Spuren zu legen, und erzähle, sie wisse nicht, wo er sei, und er sei wohl bei einer anderen Frau.
    Novak ahnte bis zum Schluss nicht, dass jeder seiner Briefe geöffnet und gelesen wurde. Sonja war vorsichtiger; von ihr sind nicht alle Briefe erhalten; sie scheint sie in unterschiedliche Briefkästen geworfen zu haben. Sie kannte die Methoden der Staatssicherheit besser, denn sie wurde nach dem Verschwinden ihres Mannes immer wieder verhört.
    Franz Novaks Briefe verraten dagegen ein naives Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit der
DDR
. Er betont immer wieder, dass
die
dieses oder jenes doch nicht machen dürften, Willkürakte, die bei der Stasi längst zum Alltagsgeschäft gehörten. Zuerst klingen Novaks Berichte sehr hoffnungsvoll und begeistert von dem neuen Leben. Er wurde in einem »Notaufnahmeverfahren« innerhalb kurzer Zeit als Bundesbürger anerkannt, der Mann vom Arbeitsamt war sehr freundlich und hilfsbereit, auch wenn er ihm keine Stelle im Forst vermitteln konnte, und mehrere Verwandte und Bekannte boten ihm an, ihn aufzunehmen und ihm zu helfen. In einem ersten Brief an seinen
besten Freund und ehemaligen guten Jagdgefährten
Werner Schödel beschreibt er, was ihm an der
BRD
besonders auffällt: Es gebe hier alles, im Monat würden vier verschiedene Jagdzeitungen erscheinen, die
eine Freude in Wort und Bild
seien. In der Bahn habe er
viele Leute mit Jagdgewehren getroffen, das sei ein so alltägliches Bild wie wenn drüben Leute mit dem Spazierstock herumlaufen
. Er bekomme allmählich den Eindruck, die letzten zehn Jahre seines Lebens umsonst gelebt zu haben. Aber das Heimweh plage ihn sehr, es sei ihm
unsagbar schwer gefallen, fortzugehen, er habe mit blutendem Herzen von seinen Wäldern Abschied genommen
, doch er habe die Ungerechtigkeit, dass ihm die Jagderlaubnis entzogen wurde, nicht ertragen können. Er müsse jetzt ganz von vorn anfangen.
    Nach einigen Wochen in Aufnahmelagern in Gießen und Lübeck-Blankensee ging er zu seiner Schwester ins Rheinland, wo er Arbeit als Fahrer in einer Molkerei fand. Diese Entscheidung war nicht gut für ihn. Ihm gefiel die Gegend nicht, denn es gab keine Berge und Wälder, die Arbeit war ihm langweilig, mit seiner Schwester und ihrem Verlobten verstand er sich immer weniger. Als positiv empfand er nur, dass er Geld verdienen und sparen konnte.
    Viel schlechter allerdings erging es Sonja Novak. Die Trennung von ihrem Mann löste bei ihr offenbar eine Depression aus, in deren Strudel sie immer tiefer hineingeriet. Ihre Briefe sind ständige Klagelitaneien – sie habe solche Kopfschmerzen, dass sie oft nicht zur Arbeit gehen könne, sie sehe sehr schlecht aus, sie werde von allen schlecht behandelt, sie werde ständig überwacht wie ein Verbrecher, sie gehe gar nicht mehr aus und sitze nur noch zu Hause herum. In den Vernehmungen geriet sie mit den Parteivertretern im Ort und mit der Polizei in Streit und sagte
denen
gehörig die Meinung.
    Daraufhin kamen sie Mitte Januar 1959 und holten die zahmen Rehe ab, die Franz Novak aufgezogen hatte, wohl in dem Wissen, dass ihn diese Maßnahme besonders treffen würde. Am meisten litt darunter jedoch Lotte Novak, der die Rehe besonders ans Herz gewachsen waren und die schon die Trennung von ihrem Vater kaum verkraftet hatte. Sie weine den ganzen Tag, schreibt Sonja, und wolle nichts mehr essen. Sonja kam mit ihr nicht mehr zurecht und ließ sie überwiegend bei ihrer Mutter.
    Franz Novak schäumte vor Wut, als Sonja ihm die Geschichte mit den Rehen schrieb. Sie solle
denen
bei ihrem nächsten Besuch sagen, dass er zurückgekommen wäre, wenn sie ihm den Jagdschein und Straffreiheit zugesichert hätten, aber jetzt habe er so eine Wut auf das
Lumpenpack, das eigentlich ins Gefängnis gehört
, jetzt sei jede Rückkehr undenkbar.
    Dennoch nährte das Heimweh in ihm den Zweifel, ob er richtig gehandelt hatte. Er hoffte immer noch, eines Tages zurückkommen zu können. So gab er seiner Frau Anweisungen, welche Bäume sie auf ihrer Wiese pflanzen solle –
Lärche, Pappeln, Esche, Kastanien. Das ist das Einzige, was mir noch am Herzen liegt. Du wirst sehen, wir kommen wieder mal zurück, und es dauert auch nicht mehr so lange. Ich werde auch noch mal ein Blockhaus auf der Wiese haben.

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