Bamberger Verrat
Hier kannst du solche Blockhäuser kaufen, so viel du willst. Es gibt alles. Schade, dass wir die Wiese und den Wald nicht hier haben. Hier kannst du dir zehn Holzhäuser bauen, keiner sagt dir was. Ja wenn ich so daran denke, sage ich mir, wir haben viel versäumt und gelebt wie im Gefängnis.
In fast jedem Brief schrieb er, sie solle doch kommen, entweder sofort oder doch, wenn er noch etwas mehr gespart habe. Schon vier Tage vor Weihnachten schickte er ihr einen genauen Fluchtplan; sie solle nicht über Berlin kommen, sondern daheim durch den Wald über die Grenze; er beschrieb jede Waldabteilung, die sie durchqueren, und jeden Weg, den sie benutzen solle. Sie brauche sich vor den Grenzern nicht zu fürchten; schlieÃlich kenne sie den Wald dreimal besser als jeder von denen.
Doch Sonja konnte sich nicht entschlieÃen zu diesem Schritt. Als Ersatzhandlung schickte sie mehrmals wöchentlich Pakete mit Sachen aus dem Haushalt â Abwurfstangen vom Bock, worüber Franz sich freute, Bilder, Kleider, Besteck und Geschirr oder Gläser, die zerbrochen ankamen, wofür er ihr Vorwürfe machte.
Warum zögerte Sonja ein halbes Jahr lang, ihrem Mann in den Westen zu folgen, obwohl die Trennung sie
fertig macht
, wie sie schrieb? Den Weg dorthin wusste sie ja genau: An Pfingsten 1959 zum Beispiel traf sie sich mit Franz jenseits der Grenze. Er erschrak, wie er ihr anschlieÃend schrieb, über ihr schlechtes Aussehen; sie solle nicht in den alten Sachen herumlaufen, sondern sich zum Trotz etwas gönnen. Er liebe sie doch wie am ersten Tag und sei froh, in ihrer Nähe gewesen zu sein. Sie solle sofort kommen.
Doch Sonja ging immer noch nicht. Einerseits wollte sie wohl ihre Mutter nicht im Stich lassen, die ganz allein mit der Arbeit auf dem Bauernhof zurückgeblieben wäre, andererseits fiel es ihr offenbar schwer, sich von ihrem Haus, ihren Sachen und ihrer Heimat zu trennen. In ihren Briefen an ihren Mann schob sie allerdings immer die Gefahr einer Flucht vor. Franz versuchte, ihr das auszureden, und schickte ihr immer wieder Beschreibungen, wie sie zu gehen hätte. Doch Sonja wirkte wie gelähmt und panisch vor Angst.
Der Briefwechsel der beiden wurde immer gereizter; sie stritten sich ständig: über die Alimente für Franzens uneheliches Kind, die Sonja regeln sollte, über den Verbleib der Möbel, über Sonjas Verhältnis zu Lotte und über lächerliche Kleinigkeiten. Die Umstände zermürbten beide. SchlieÃlich schrieb Franz im Juni 1959:
Das ist endgültig mein letzter Brief. Ich kann nicht mehr anders, es geht beim besten Willen nicht. Ich zwinge dich nicht, hierher zu kommen. Es war ein halbes Jahr Zeit, und du hast es von einer Woche auf die andere verschoben mit dem Umzug. Es ist festzustellen, dass man auch ohne Frau auskommen kann. Wenn du für das Kind Unterhalt beanspruchst, schreibe mir, ich schicke dir ausreichend. Ich schreibe kein einziges Wort mehr.
Sonja muss am Boden zerstört gewesen sein. Sie fuhr am 12.  6.  1959 zu ihrer Schwester in die benachbarte Kreisstadt, um sich auszuweinen. Und ausgerechnet in dieser Situation traf sie im Bahnhofsrestaurant, wo sie auf den Anschlusszug wartete, auf Hans Kromm. Sie vertraute ihm und erzählte ihm von ihrer traurigen Situation, von ihren Fluchtplänen und ihrer Angst. Er tröstete sie, offenbar liebevoll, und brachte sie in seinem Auto zu ihrer Schwester.
Und dann tat er etwas überaus Verhängnisvolles: Er erzählte noch am selben Tag einem Mitarbeiter der Stasi von diesem Treffen. Was hatte ihn nur zu diesem schäbigen Schritt bewogen: Eitelkeit, Dummheit oder auch nur das Bedürfnis, zu reden? Er trat damit eine Lawine mit grauenhaftem Endresultat los. Der Informant leitete Kromms Nachricht umgehend weiter an die beiden Stasi-Offiziere, die mit dem Fall Novak betraut waren, Hauptmann Volk und Unterleutnant Teuber.
Diese wurden sofort aktiv. Sie hatten den Briefwechsel der Novaks ja die ganzen Monate mitverfolgt und immer darauf gehofft, Franz Novak bei der Flucht seiner Frau erwischen zu können. Mit Novaks Abschiedsbrief sahen sie diese Möglichkeit verschwinden.
Doch das Auftauchen von Hans Kromm bot ganz neue Chancen. Zwei Tage später kam es zum ersten »Treff« mit Kromm. Spätestens da hätte ihm bewusst werden müssen, worauf er sich einlieÃ, dass er damit das Schicksal seines Freundes und der Frau, die er begehrte,
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