Bamberger Verrat
zwanzig Meter vor ihr gerade zwischen den Gemüseständen verschwand, sah von hinten tatsächlich wie Paolo aus, groà und elegant gekleidet im taillierten Mantel, mit dichtem schwarzen Haar. Kopfschüttelnd betrat Hanna die Buchhandlung. Sie war nach ihrem Tanja-Beistand vom Haus am Nonnengraben zum Grünen Markt gegangen, um ein Geburtstagsgeschenk für Tante Kunigunde zu kaufen. Mit Büchern lag man bei ihr immer richtig.
Hanna nahm verschiedene Bände in die Hand, studierte die Klappentexte und las sich schlieÃlich an Per Pettersons »Pferde stehlen« fest, dessen wasserklare Sprache sie sofort gefangen nahm. Das würde auch Tante Kunigunde gefallen.
Auf dem Heimweg kam sie an dem Stand â nur ein Tischchen und ein Stuhl â der winzigen, verhutzelten und immer fröhlichen Bäuerin aus Dörfleins vorbei, die donnerstags und freitags Produkte aus ihrem Garten verkaufte. Heute waren es Eier und Narzissen, Mini-Narzissen in einem Eimer. Hanna kaufte fast alle, vierunddreiÃig Stück für Tante Kunigunde und sechs für sich selbst. Sie konnte den Strauà nur mit beiden Händen halten und trug ihn, begleitet vom Lächeln der Hutzelfrau, wie einen Schatz nach Hause. Die Fülle der kleinen gelben Kelche, die sie in ihrer groÃen Bowlenschüssel vor das Fenster stellte, hob ihre Stimmung, und sie setzte sich aufseufzend, doch mit deutlich mehr Elan als vorher an ihren Schreibtisch.
Aber heute war eindeutig kein guter Arbeitstag. Schon eine knappe halbe Stunde später klingelte es wieder. Hanna war stark versucht, nicht an die Tür zu gehen, doch die Neugier war stärker. Wer wollte sie um diese Zeit besuchen?
Aus der Sprechanlage kam Paolos Stimme: »Hallo, Hanna.«
Also doch! Ihre Hände wurden feucht. Schon in dem Moment, als sie auf den Türöffner drückte, wusste sie, dass das ein Fehler war.
Sie beobachtete ihn, wie er über den Hof auf sie zukam mit jenem Gang, der sie schon bei ihrer ersten Begegnung gefesselt hatte â geballte Kraft hinter aristokratischer Lässigkeit. Wie ein Tiger auf der Jagd, dachte sie.
»Paolo! Welche Ãberraschung«, sagte sie mit belegter Stimme.
Alles war mit einem Schlag wieder da: das Herzrasen, das Kniezittern, das dringende Bedürfnis, ihn zu berühren. Hätte sie doch die Tür nur nicht geöffnet!
Er lächelte sein berühmtes grün glitzerndes Lächeln und legte den Kopf ein wenig schief, ein ganz klein wenig nur. » Come bella! Du bist noch schöner als früher.«
Hanna schaute an sich hinunter. Sie hatte ihre Schreibtischkluft angezogen, einen weiten Pullover und bequeme ausgebeulte Hosen.
»Bei dir hat noch nie Rolle gespielt, was du anhast und ob«, grinste Paolo. »Willst du mich nicht hineinbitten? Ist kalt hier in dein Hof.«
Sie hätte Nein sagen sollen, sie hätte Nein sagen sollen!
Aber sie sagte: »Entschuldige«, hielt ihm die Tür auf, hängte seinen Mantel an die Garderobe und führte ihn ins Wohnzimmer.
Paolo rieb sich die kalten Hände und sah sich anerkennend um.
»Schön hier. Schöner Raum«, sagte er. Dann trat er an die Balkontür und stieà einen leisen Pfiff aus. » Mamma mia! Welch ein Blick!« Er drehte sich zu ihr um und musterte sie ungeniert. »Kleine Hanna, lebt hier in Klein-Venedig in kleinem Palazzo. Du hast Venedig vermisst, no ?«
»Venedig schon«, antwortete Hanna und hielt sich an der Lehne ihres Stuhls fest. »Was willst du hier, Paolo?«
»Vielleicht ein klein Espresso? Dein Espresso war immer so gut wie italienischer â fast.« Er freute sich augenzwinkernd über das freche Kompliment.
Hanna flüchtete sich in die Küche. Sie wollte, sie musste ⦠sie musste nachdenken, aber ihr Kopf war völlig leer. Er folgte ihr mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre er hier zu Hause.
»Lebst du allein hier?«
»Das ist mein Büro. Normalerweise wohne ich bei meinem â bei meinem Mann.«
»Ach so, normalerweise.«
Hanna schraubte die sanduhrförmige Espressokanne zu. »Und was ist mir dir? Wie geht es deiner Mutter?«
»Mamma ist tot. Ist vor einem Jahr gestorben.«
»Oh, das tut mir leid.«
»Lüg nicht. Das tut dir gar nicht leid ⦠Allora , ich habe den Palazzo umgebaut. Ist jetzt auch in Winter warm. Es gibt Licht und keine tovaglia von Samt mehr.« Er sah sie an, als
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