Bambule am Boul Mich
Sie nicht einfach rauswerfe.“ Der Kommissar
telefonierte mit zwei Kollegen. Masoultre schwirrte irgendwo im Haus herum.
Zehn Minuten später stand er vor uns.
Gewohnheitsmäßig hielt ich nach
dem Schatten Ausschau, der eigentlich dabei sein mußte. Aber er ließ ihn wohl
auf dem Flur warten. Masoultre war ungefähr dreißig, ziemlich klein,
breitschultrig, mit Händen wie Schaufeln, dem roten Gesicht eines Bauern und
als Krone darüber ein Bürstenhaarschnitt. Aber dieser rotgesichtige Bauer war
modern und fortschrittlich. Als er geboren wurde, gab es schon Elektrizität auf
dem flachen Land und automatische Melkmaschinen. Seine schwarzen Augen blickten
außergewöhnlich wach und intelligent. Faroux machte uns miteinander bekannt,
und Masoultre war sehr erfreut. Bei einigen Wörtern kam sein Akzent zum
Vorschein.
Er zog sich einen Stuhl ran,
und ich erklärte ihm den Grund meines Besuches.
„Was halten Sie von der jungen
Dame?“ fragte er mich in schulmeisterlichem Ton, als ich ihm von meinem
Gespräch mit Jacqueline Carrier erzählte.
Er machte es sich auf seinem
Stuhl bequem, was sofort einen traurigen Klagelaut auslöste. Pech: er hatte den
Stuhl für zweifelhafte Zeugen erwischt. Schien ihn aber gar nicht zu stören. Im
Gegenteil. Man hätte meinen können, er zerbreche sich den Kopf darüber, wie er
seinem wackligen Sitzmöbel die verschiedensten Töne entlocken konnte. Wie ein
Dudelsackpfeifer, der sein Instrument stimmt.
„Dasselbe wie Sie“, antwortete
ich auf seine Frage. „Sie ist ein bißchen plemplem.“
„Das finde ich leicht
übertrieben. Sie redet sich da etwas ein, mehr nicht. Ich glaube, ich
durchschaue ihre Psyche. Daß ihr Geliebter sich umgebracht hat, wo doch kein
Schatten auf ihre Liebe fiel, das scheint ihr unvorstellbar. Sie ist ein
gefühlsbetonter Mensch
Wie der daherredete! Ich schielte
zu Faroux hinüber. Der Kommissar nickte unmerklich, als wollte er sagen: Ja, so
sind die jetzt alle. Hatte ich Ihnen ja gesagt: einige kleine Eigenarten! Ich
widmete mich wieder Masoultre, vor allem seinen Schaufeln. Gepflegte Sprache
oder nicht, er war sicher nicht auf den Mund gefallen bei bestimmten
Gelegenheiten, wo das Wort „gepflegt“ gut hinpaßt. Das stellte das natürliche
Gleichgewicht wieder her. Ich verspürte undeutlich ein Gefühl der
Erleichterung. Der Inspektor redete weiter.
„Ein gefühlsbetonter Mensch,
hab ich auch zu ihr gesagt...“
„ ,Sie überlegen mit dem Herzen. Wir dagegen haben die Wissenschaft auf unserer
Seite.’ Oder so was Ähnliches.“
„Stimmt genau. Ich merke, sie
hat Ihnen meine Worte exakt wiedergegeben.“
„Ja. Und... ist die Wissenschaft
tatsächlich auf Ihrer Seite?“ Er lachte leise, vornehm, aber eben doch wie ein
Flic.
„Ich dachte, Sie bezweifeln
nicht, daß es Selbstmord war.“
„Bezweifelt er auch nicht“,
seufzte Faroux. „Aber er will auf Nummer Sicher gehen. Erleichtern Sie ihm die
Aufgabe, Herr Kollege. Sie sollen ein Gedächtnis wie ein Elefant haben.
Angeblich kennen Sie Ihre Akten auswendig. Erinnern Sie sich doch bitte an
diese eine. Das ist doch kein Staatsgeheimnis. Mal sehen, was dabei rauskommt.“
„Wie Sie wünschen, Herr
Kommissar“, sagte Masoultre und verbeugte sich. Halb aus Respekt gegenüber
seinem Vorgesetzten, halb um auf seinem musikalischen Stuhl einen noch nicht
gehörten Ton hervorzubringen.
„Ich kann Ihnen den Bericht des
Gerichtsmediziners wiedergeben“, sagte er dann zu mir. „Manchmal schleichen
sich Zweifel in die Schlußfolgerungen ein, weil die Flugbahn einer Kugel
merkwürdig verläuft. Im Fall Leverrier ist das aber absolut nicht so. Ich
möchte behaupten, noch nie konnte man mit solcher Gewißheit auf Selbstmord
schließen. Wollen Sie den Bericht lesen?“
„Nicht nötig. Wenn Sie das
sagen, genügt mir das. Das Fachchinesisch würde mich nicht schlauer machen. Der
junge Leverrier hat sich also selbst umgebracht.“
„Einwandfrei. Jeder Versuch,
einen Selbstmord vorzutäuschen, um ein Verbrechen zu vertuschen, ist
auszuschließen. Die wissenschaftlichen Beweise sind eindeutig.“
„Gut. Er hat sich umgebracht.
Aber... Aus welchem Grund? Herrgott nochmal! Man bringt sich doch nicht einfach
so um?“
Faroux seufzte. Über Masoultres
Lippen huschte ein enttäuschtes Lächeln.
„Glauben Sie, Monsieur Burma?
Ehrlich gesacht, Sie überraschen mich. Hab Sie für einen alten Hasen gehalten.
Ist es Ihnen noch nie passiert, daß Sie sich von jemandem verabschiedet haben,
der alle
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