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Banalverkehr - Roman

Banalverkehr - Roman

Titel: Banalverkehr - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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ein bisschen jammere. Es klingt wie ein Hundewelpe. Er packt mich am Arm und reißt mich nach oben. Meine Beine sind zittrig und laufen über Kreuz.
    »Ich muss ins Bett, ich … kann … nicht mehr«, stammele ich.
    »Keine Sorge, ich bring dich ins Bett«, sagt der Mann ohne Gesicht und zieht mich weiter. »Und jetzt versuch normal zu laufen.« Ich versuche es.
    Wir gehen in ein Haus. Dann stehen wir plötzlich in einem Lift. Er drückt mich gegen die Fahrstuhlwand und sich gegen mich. In seinem Gesichtsaquarell erkenne ich ein Auge, ganz groß, ganz deutlich. Er schiebt seine Zunge in meinen Mund. Mir wird schlecht. Es wäre alles nicht so schlimm, wenn mir nicht so schlecht wäre … Er drängt mich in eine Wohnung, so schwungvoll, dass ich nach vorne stolpere und nach ein paar ungeschickten Schritten einfach auf den Boden falle. Ich bleibe liegen und starre an die Decke.
    »Nach Hause«, sage ich. Ich bin so müde, und die Müdigkeit zerfetzt meine Wahrnehmung wieder in kleine Stücke.
    Schwarz …
    Schwarz …
    Schwarz.
    »Willst du was ziehen, bevor wir loslegen?«, werde ich gefragt, als ich aufwache. Ich liege auf einem Bett, und außer meinem BH habe ich nichts mehr an.
    »Was ziehen?«, höre ich mich fragen.
    »Schnee, kleiner Weihnachtsengel«, sagt er und deutet mit dem Kopf auf das Frühstücksbrettchen, das er in der Hand hält. Ich will den Kopf schütteln, aber er sitzt wie festmontiert auf dem Rest meines Körpers und lässt sich nicht bewegen. Nicht mal meinen Mund kann ich aufmachen, um ihm zu sagen, was für ein Idiot er ist. Schnee und Weihnachtsengel. Im März! »Na ja, vielleicht ist es auch gar nicht so gut, wenn du jetzt was schnupfst«, sagt er, legt das Brett beiseite und zieht sich aus. »Nicht, dass du mir hier noch alles vollkotzt. Aber ich hab eine bessere Idee.« Ich spüre, wie er meine Beine auseinanderdrückt und dazwischen herumreibt. »Das machen die Nutten auch, damit sie länger durchhalten. Das wird jetzt ein bisschen taub.«
    Keine Ahnung, ob das passiert, denn ich klinke mich wieder aus ins tiefe Schwarz.
    »Du sollst sagen, dass ich dich ficken soll!«
    Ich öffne die Augen und frage mich, warum seine Stimme auf einmal so anders klingt.
    »Sag schon!«
    Ich denke an das Niveau.
    »Die musst du richtig rannehmen, die merkt nichts mehr.« Es ist eine vertrautere Stimme, und sie kommt aus einiger Entfernung. Ich folge ihr mit meinem Blick und erkenne eine schemenhafte Gestalt, die am Fenster steht, ein dunkler Fleck im hellen Mondlicht. Ich versuche mich aufzusetzen, aber mein Körper hat keine Chance, als ihn gefühlte neunzig Kilo in die Matratze drücken.
    »Mir ist schlecht«, jammert ein Hundewelpe, aber ich weiß nicht, ob ihn außer mir noch jemand hört. Und dann wird es wieder schwarz.
    Es ist so wahnsinnig kalt. Ich kauere neben der Toilette auf den eisigen Fliesen, und als ich mir eine nasse Strähne aus dem Gesicht wischen will, merke ich, wie lauwarme, gelbe Brühe von meinem Unterarm läuft. Wimmernd krieche ich auf allen vieren aus dem fremden Bad. Auf dem Flur stellen sich mir zwei Paar Füße, zwei Paar Beine und zwei kleine, schlaffe Schwänze in den Weg. Als ich versuche, noch weiter nach oben zu schauen, wird mir schwindelig.
    »Wir müssen sie hier wegschaffen«, sagt einer der beiden Schwänze, und ich bin froh, dass ich mich in Kreisen bewege, in denen das lediglich bedeutet, dass man seine Klamotten lieblos über den Kopf gezogen bekommt und ins nächste Taxi geschubst wird.
    Ich will jetzt nicht sprechen, also zeige ich dem Taxifahrer meinen Ausweis, weil hinten draufsteht, wo ich wohne. Während wir fahren, schaue ich aus dem Fenster auf eine Welt, die sich nicht entscheiden kann, ob sie Nacht ist oder Tag. Alles ist grau und ohne Kontur, ein Sumpf, der nur ab und zu von grellen Neonbuchstaben durchbrochen wird, die dafür werben, was diese Welt da draußen einem zu bieten hat: Burger, Sex und günstige Reinigung von Kleidern und Anzügen. Alles ist billig und geht schnell. An jeder Ecke ein ähnliches Bild. Wie ein Ritual für die Augen, wie eine Gutenachtgeschichte. Als wir ankommen, weckt der Fahrer mich auf, und ich drücke ihm einen Fünfzigeuroschein in die Hand, bevor ich in meine Wohnung schwanke, wieder einmal dankbar dafür, dass sie im Erdgeschoss liegt. Dann falle ich ins Bett.
    Sobald mein Körper merkt, dass wir zu Hause sind, in Ruhe, allein, horizontal und außer Gefahr, fällt er in sich zusammen. Meine Glieder fühlen sich an wie

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