Banalverkehr - Roman
Haare gehalten, wenn du über dem Klo hingst und gekotzt hast im Suff! Ich bin doch deine rechte Titte!«
»Das warst du mal.«
»Dann überleg noch mal genau, was im Supermarkt passiert ist, Lene! Ich hab dich gefragt, wie es dir geht – und du, wie ’n bekiffter Teletubby: »Lalala, gu-hut.« Und ich hab es dir nicht geglaubt, weil ich dich kenne und weil du mir immer noch nicht egal bist! Ich hab dich seit letzter Woche jeden Tag angerufen und dir diese ganzen beschissenen SMS geschickt und E-Mails! Beschissene E-Mails hab ich dir auch geschrieben! Und …« Ich schaue durch den Kreis aufmerksamer Gesichter, mein Publikum, meine Jury im Fall Gutmensch Mira gegen Ignoranzschwein mit dickem Hintern Lene . »Heute Mittag! Heute Mittag hab ich vor deiner Tür gestanden, Sturm geklingelt, Sturm! Und dich dann quasi an den Haaren aus deiner orangefarbenen Sitzeier-Wohnung herausgezerrt. Herausgezerrt! Damit du mitkommen musst , zu diesem beschissenen Stuhlkreis!« O, o.
»Also …«, muss sich die Chefin an dieser Stelle natürlich einschalten, da ich ihre heilige Sitzordnung beleidigt habe, »dieser Stuhlkreis ist eine pädagogisch sehr wertvolle …«
»Scheiß drauf!«, rufe ich. »Lene, du hast es doch selbst gesagt. Du bist nicht glücklich. Also ändere was!«
»Du willst doch nur, dass ich mich von Andy trenne!«, heult sie. »Nur, weil du keinen Freund mehr hast und alleine bist, soll ich es jetzt auch sein!«
»Ich bin nicht alleine! Ich habe meinen Sohn. Und du hast deine Tochter! Und hierher kommen solltest du, damit du siehst, dass es auch andere Mütter gibt, die alleinerziehend sind und damit besser klarkommen als mit einem bekloppten Typen zu Hause auf dem Sofa, mit dem es einfach nicht läuft!«
»Man kann niemanden zu seinem Glück zwingen«, sagt die Stuhlkreischefin. »Es ist gut, dass Lene sich entschieden hat, herzukommen, und bereit ist …«
»Ich bin noch nicht so weit«, sagt Lene leise und wischt sich über das verweinte Gesicht.
»Das ist auch völlig okay. Hauptsache, du siehst, dass du eben nicht alleine bist«, sage ich und bin darauf sehr stolz. Besser hätte es die Stuhlkreischefin sicher auch nicht formulieren können, und es zeugt von pädagogisch wertvoller Größe, dass sie das auch anerkennt.
»Das hast du schön gesagt. Lene, wir sind für dich da, und alles andere entscheidest du selbst. Vielleicht möchtest du jetzt mal ein bisschen was über dich erzählen«, sagt sie schließlich zu mir und gibt das Stichwort für meinen Einsatz.
»Ja, also, ich heiße Mira und habe einen kleinen Sohn. Ich hab letzte Woche im Internet über die Alleinerziehenden-Gruppe gelesen und dachte, ich komme mal her, weil, also meine Geschichte ist vermutlich auch nicht anders oder spannender als eure. Deswegen: Ich bin hier, weil ich Anschluss suche. Immerhin sitzen wir alle im selben Boot.« Oder zumindest im selben bescheuerten Stuhlkreis. »Und das ist doch eigentlich eine ganz gute Basis. Ich hatte nämlich nie besonders viele Freunde und denke mittlerweile, dass es wichtig ist, ein gutes und beständiges Umfeld zu haben, ähm, damit man sich gar nicht erst so wahnsinnig da reinsteigern kann, sich alleine zu fühlen. Denn daraus entstehen wahrscheinlich nur die nächsten Geschichten, die in einem anderen Stuhlkreis enden.« Ein paar der Frauen müssen lachen und das, obwohl es immer noch keinen neuen Gagschreiber gibt, aber dafür vermutlich eine neue Mira. »Also. Ich würde mich freuen, wenn Lene später noch einen Kaffee mit mir trinken würde.« Ich schaue zu Lene und sehe ein kleines, zaghaftes Lächeln. Vielleicht können wir in Zukunft sogar wieder Freundinnen sein. Auf einem neuen Niveau. »Und vielleicht hat ja noch jemand Lust mitzugehen. Gar nicht, um groß rumzuheulen. Einfach nur, weil heute so schönes Wetter ist.«
Einfach nur, weil der Himmel blau ist, die Sonne hell und die Bäume wieder dieses Grün haben, einfach nur, um für einen Moment die schüchterne Schönheit zu genießen, mit der die Welt da draußen ja doch ab und zu glänzen kann. Einfach nur, um sich darüber zu freuen, wie gut sich unangestrengtes Glück anfühlen kann. Und …
»Einfach nur, um über irgendwelche belanglose, sinnlose Vogelkacke zu quatschen«, lächle ich, ein richtiges, echtes Lächeln, und es wird auf wunderbare Weise beantwortet.
Und nun? Tja, ich schätze, das Leben wird mich schon mal wieder in den Arsch ficken wollen und ob es beim nächsten Mal bereit ist, ein Kondom zu benutzen
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