Banalverkehr - Roman
bekommen. Und ich schätze, in Indien ist man damit schon ziemlich reich.
»Ich hatte einen recht guten Job als Promoterin.«
Und ich als Werbetexterin, und wirklich: Dieser Job wurde für Menschen wie mich erfunden. Ich bin so kreativ, dass sich mein Realitätssinn durch einen leichten Anflug von Wahn bereits zu einer ganzen neuen, innovativen Art von Wahrnehmung gewandelt hat. Und das ganz ohne Drogen. Ein völlig unsynthetischer, rein organischer Bio-Überschuss an Fantasie. Ich war echt gut in meinem Job.
»Ansonsten lebte ich ein ganz normales Großstadtleben: Ich hatte eine Wohnung, in der ich selten war, weil ich sie eigentlich hasste. Sie war in einem desolaten Zustand, aber für Verschönerungsmaßnahmen oder einen Umzug war ich zu faul. So wichtig war mir das dann doch nicht.«
Ich nicke kräftig. Meine alte Wohnung, puh. Aber außer mir wohnte da ja sowieso nur meine Katze, und die hatte sich über den tropfenden Wasserhahn im Bad, die Risse in den Kacheln und den brummenden Kühlschrank nie beschwert. Wenigstens lag sie im Erdgeschoss. Jeder, der gerne mal einen hebt, weiß das zu schätzen.
»Nach der Arbeit war ich meistens in irgendwelchen Clubs oder Bars. Vor Mitternacht manchmal sogar noch bekleidet und beinahe nüchtern. An alles, was nach Mitternacht passiert ist, konnte ich mich selten erinnern.«
Genau wie an die Namen der Männer, neben denen ich dann am nächsten Morgen aufgewacht bin. In Summe müssen es so ungefähr 140 gewesen sein, grob geschätzt. Bitte, so viele Namen kann sich ja auch wirklich keiner merken. Aber dafür habe ich andere Merkmale im Kopf behalten, so dass letztlich doch keiner von ihnen namenlos geblieben ist: Mister Siebzehn-Zentimeter, der mit den roten Sackhaaren, Bierbauch-Bumser. Obwohl – der mit dem Bierbauch hieß, glaub ich, Olli.
»Und früher war ich außerdem zwanzig Kilo leichter.«
Autsch. Mit einem Mal bin ich richtig froh, dass ich immer noch merke, wie hart die Stühle hier sind.
»Ja, das war also mein Leben vor knapp zwei Jahren. Aber dann lernte ich ihn kennen.«
Und was dann folgt ist eine ewig lange Schwärmerei. Wie es eben immer so ist. Das Reinrutschen. Und definitiv der Punkt, an dem ich mich guten Gewissens ausklinken kann, zumal jeder Anfang eine Illusion im Gepäck hat. Interessant wird es erst, wenn der Koffer aufgemacht wird und man sieht, was wirklich drin ist. Bis dahin nutze ich die Zeit, um darüber nachzudenken, wie ich meine eigene Geschichte möglichst knackig verpacken kann, denn, wie gesagt: Ich bin gar nicht hier, weil ich stundenlang erzählen will. Ich habe ein Anliegen. Aber ohne die hinter mir liegende Geschichte, das sehe ich ein, lässt es sich vermutlich schlecht formulieren.
Kapitel 1 – Puppe Stockmann, Version 1.0
»Nur, weil man sonst immer Sushi isst, heißt das doch nicht, dass man sich nicht ab und zu mal einen Krapfen gönnen darf.«
»Ist das aus ’ner Büttenrede?«
»Das ist Lebensphilosophie, Puppe!«
»Dann hab ich auch einen: Wenn das Leben dich in den Arsch fickt, soll es wenigstens ein Kondom benutzen.«
»Was soll denn das jetzt?«
»Das ist Anal-Philosophie, Lene!«, sage ich und finde mich selbst so witzig, dass ich mit dem Telefonhörer in der Hand kichernd auf und ab hopse. Wie ein Flummi aus dem Kaugummiautomaten.
»Hast du mir überhaupt zugehört?«, fragt Lene.
»A-nal-Phi-lo-so-phie!«, sage ich ganz langsam und deutlich und warte, bis der Groschen fällt.
Schweigen.
»Aaa-naaaaal …«, beginne ich nochmal, noch langsa-mer.
»Puppe, ich hab’s kapiert«, sagt Lene, und ich frage mich, warum sie dann nicht lacht. Und Lene frage ich, ob die Fluggesellschaft den Koffer mit ihrem Humor verloren hat. Für einen Spitzenwitz kann man ja wohl ein bisschen Applaus erwarten. Aber Lene applaudiert nicht.
»Lene?!«, frage ich ganz vorsichtig, um zu hören, ob sie überhaupt noch dran ist. Ich höre ein kleines Brummen, aber der Rest bleibt Schweigen. Normalerweise lachen wir über dieselben Dinge. Wir atmen quasi synchron. Sind Eins oder zumindest zwei ziemlich Halbe, die ungefähr, aber doch schon einigermaßen genau, an Eins herankommen, sich ergänzen und irgendwie untrennbar zusammengehören. Lene ist meine linke Titte. Meine beste Freundin. Und ein bisschen verrückt.
Das meine ich wirklich so: verrückt. Nicht nur im liebenswerten Sinne, sondern durchaus im medizinischen. An einem Tag besucht sie mich, bagatell-euphorisiert und selbstbewusst mit einem Ego, das so groß ist,
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