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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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spielte gern den Türhüter ihrer Vergnügungen. Hinter ihm fiel die Wirtshaustür ins Schloss, und er taumelte durch den Frühnebel zu seinem abgelegenen Haus, von dessen Fenstern er einen unverstellten Blick auf die Ebene hatte. Der Akkordeonspieler verbrachte die Tage damit, die weite Ebene mit den Blicken zu überschweifen und die Träume – nach ihrer Befreiung aus den Ritzen und Falten seines Instruments und dem Einsammeln der unweigerlich beim Musizieren entschlüpften und noch in Reichweite durch die Luft schwebenden Traumfetzchen – ungehindert ihr Spiel um sein Herz und seinen Kopf treiben zu lassen. Das, dachte der Akkordeonspieler, wie er an seinem Fenster saß und in die Stille der Ebene lauschte, das ist das wahre Leben.

BATTONYA
    Die Nächte wurden länger, und morgens lastete die Luft jetzt nass auf der Erde, manchmal roch es bitter, manchmal brandig-faul nach Tierkadavern, die in einem großen, eigens nahe der Grenze dafür errichteten Ofen verbrannt wurden. Aus dem ganzen Land brachte man Tierkadaver herbei, um sie hier, wo der häufige West- oder Nordwind den üblen Rauch über die Grenze in ein anderes Land blies, in der unbeschreiblichen Hitze der sogenannten Verbrennungsanlage in kürzester Zeit zu Asche werden zu lassen.
    Eines Morgens begannen die buckligen Geschwister auf dem Feld neben meinem Garten den Mais zu schneiden. Zuerst hörte ich nur das Rascheln und das kurze Ratschen der Klinge. Der Mais stand so hoch und dicht, dass dazwischen umhergehende Menschen unsichtbar waren. Die beiden schichteten die Stängel, bis der Haufen groß genug war, dann stellten sie ihn aufrecht, so dass die schiefen Halme sich ineinander verschränkten und mit ihren fleddrigen Blättern zerzauste Vereine bildeten. Wenn die Sonne mittags heiß brannte, schlichen die buckligen Geschwister, braun und grau wie der Mais, nach Hause.
    Ich ging zu Rozalia, um meine Vorhänge abzuholen. Die Tür zu ihrem Haus stand offen, Rozalia lag auf dem Bett. Die Vorhänge waren noch nicht fertig. Rozalia war müde nach Wochen im Melonenfeld, jeder wollte auf den Melonenfeldern Arbeit haben, sagte sie. Sie rauchte, beim Ausstoßen des Rauchs zog sie den Mund schief. Jetzt hatte sie Geld, und dann und wann wollte sie auch die Kneipe gehen, denn manchmal konnte man sich verlieben. Einmal verliebte sie sich in einen lustigen Mann, aus dem Slowakendorf. Er kam mit Salami und Schnaps in der Fahrradtasche aus Tóthkomlós zu ihr, und sie gingen tanzen, wenn in der Kneipe Musik gespielt wurde. Sie machte nach, wie er lachte, verzog den Mund zu einem breiten Grinsen. Und wie er in seine Salami biss – dabei ruckte sie den Kopf plötzlich und heftig nach vorn, als stieße sie auf etwas hinab, mit breit geöffnetem Mund. Sie redete mit dünner Stimme, lachte hechelnd, hielt dabei die Hand vor den Mund und die dunklen Lücken zwischen den Zähnen. Na gut, sagte sie immer wieder. Sie wollte vom Sommer erzählen. Von ihren Verliebten, wie sie es nannte. Von dem großen Hallo in den staubblauen Bussen an jedem Sammelpunkt, wo Arbeiter zustiegen. Von der schönen Melonenernte. Bei uns auf dem Melonenfeld geht alles Hand in Hand, sagte sie, Hand in Hand, wir sind nur Erntehände. In den Pausen, da sitzen wir im Schatten, und der Rest unseres Körpers gesellt sich zu uns, wir rauchen und trinken und fassen uns an.

DER MELONENWÄCHTER
    Die Melonen waren merkwürdige Gewächse. Erst sahen sie aus wie Schwellungen der Erde, dann wie runde, in sich gehüllte Tiere, die aus der Erde emporgekrochen sind. Dann lagen sie still und warteten, bis der welkende Strang, der sie mit dem Land ihrer Geburt noch verband, durchtrennt wurde.
    Wenn die Melonen reif waren, lagen die Felder selbst erschöpft da, schlaff breiten sich Strünke und Blätter über den Boden, dazwischen wölbten sich die Melonen in der gleißenden Sonne der Spätsommertage, in einem Licht, in dem jedes nicht aus direkter Nähe betrachtete Ding klein und unscheinbar wird.
    Bei der Ernte arbeiteten Scharen auf den Feldern. Die Melonenpflücker kamen von nah und fern. Sie verdingten sich von Ernte zu Ernte, und wenn der Sommer vorüber war, verschwanden sie irgendwohin. In der Melonenzeit lernten ihre Finger jede kleinste Besonderheit der Melonenhaut kennen, sie spürten die Unterschiede der Düfte, die Schattierungen von Grün und Grau der Schale, jeden Ton, der entstand, wenn die Hände auf die Früchte oder die Früchte aufeinander trafen. Die auswärtigen Pflücker galten als

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